Zeit-Verschwendung

Martin Suter – „Die Zeit, die Zeit“

von Frank Becker

Zeit-Verschwendung
 
Die Zeit geht nicht, sie stehet still,
wir ziehen durch sie hin...

(Gottfried Keller)

 
Vor einem Jahr hat ein Unbekannter Peter Talers Frau Laura vor der Haustür erschossen. Die Polizei hat den Mörder nie gefunden. Talers einziges Lebensziel ist nun, die Erinnerung an Laura solange wach zu halten, bis der Täter gefunden ist - und ihn dann zu töten. Denn die Zeit heilt Talers Wunden nicht.
Sein skurriler Nachbar Knupp von gegenüber, ein alter, offensichtlich misanthropischer, verschrobener Kauz, der vor 20 Jahren ebenfalls seine Frau verloren hat, wofür er sich für schuldig hält, weckt Talers Neugier. Der Alte tut merkwürdige Dinge auf seinem Grundstück, für die Taler bald den Grund erfährt: Knupp, der als „Kerbelianer“ die Existenz der Zeit leugnet, versucht durch den Rückbau von Haus, Garten und kompletter Nachbarschaft den Zustand wiederherzustellen, in dem alles am 1. Oktober 1991 war, als der Tod seiner Martha noch abzuwenden gewesen wäre. So erhofft er sich, sie in der seiner Meinung nach derart zwangsläufig entstehenden Parallelwelt wiederzufinden und das Schicksal abzuwenden. Er infiziert Taler, der ohnehin keine anderen Ziele mehr hat, mit dem Gedanken so auch Laura wiederzufinden.
Martin Suter verstrickt nun seine beiden Protagonisten in ein aberwitziges Vorhaben, das jeder Vernunft widerspricht und eine Aussicht auf Realisation unmöglich erscheinen läßt – allein schon durch die Frage der Finanzierung. Als Taler durch die akribischen Aufzeichnungen Knupps eine Spur zu Lauras Mörder zu finden glaubt, tritt eine entscheidende Wendung ein.
 
Suter hat seinen Roman nicht nur deutlich mit einer Überfülle an Details allzu aufgeplustert, und trotz akzeptablen Erzählflusses – man liest flott durch, wird nur selten aufgehalten und kann auch mal Absätze verlustfrei überspringen – ist er deutlich zu verliebt in die doch sehr wirre, abstruse Idee.
Einige interessante, ja überraschende Wendungen machen die Sache streckenweise sogar spannend, aber das hält Suter nicht durch. So ist dem aufmerksamen Leser schon nach einem knappen Drittel des Romans klar, wer der Mörder ist, und es ist nach zwei Dritteln absehbar, wohin die Reise schließlich führt. Daß Logik hierbei keine Rolle spielen kann, liegt ohnehin auf der Hand. Die Schlußpointe hat zwar einigen versöhnlichen Witz, aber sie überzeugt ebensowenig wie die Idee des Romans. Sie kann das Wirrwarr nicht auflösen - und man muß sich viel zu lange auf sie hinlesen. Zeitverschwendung.
 
Martin Suter – „Die Zeit, die Zeit“
Roman
© 2013 Diogenes Verlag, 300 Seiten, Ganzleinen – ISBN 978-3-257-06830-6
21,90€ (D)  / 29.90* sFr / 22,60 € (A)
Den Roman „Die Zeit, die Zeit“ gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Gert Heidenreich (Regie: Johannes Steck, Diogenes Verlag, Zürich 2012, 7 CDs, 468 Minuten, ISBN 978-3-257-80330-3)
 
Weitere Informationen: www.diogenes.ch