Das nervt

„Einfach das Ende der Welt“ von Xavier Dolan

von Renate Wagner

Einfach das Ende der Welt
(Juste la fin du monde - Frankreich 2016)

Drehbuch und Regie: Xavier Dolan
Nach dem gleichnamigen Theaterstück von Jean-Luc Lagarce
Mit: Gaspard Ulliel, Nathalie Baye, Marion Cotillard, Vincent Cassel, Léa Seydoux
 
Familie nervt. Nicht immer natürlich, aber oft (immer öfter). Je unausstehlicher, umso lieber bringt man sie – um des Effekts willen – auf die Bühne. Oder auf die Leinwand. Darf’s ein bißchen mehr sein? Kreischende, zankende, widerliche Familien ergeben mindestens (schrilles) Schauspielerfutter. Aber muß so etwas zu einem künstlerisch befriedigenden Ergebnis kommen, nur weil man es hoch und höher schraubt, damit es ja recht weht tut? Je direkter und vordergründiger, desto besser? Der französische Film „Einfach das Ende der Welt“ läßt da bei einem genervten, nicht bereicherten Publikum Zweifel aufkommen.
 
Ein Sohn besucht nach vierzehnjähriger Abwesenheit seine Familie (offenbar, von Paris kommend, irgendwo in der französischen Provinz). Mutter, Schwester, Bruder, Schwägerin. Kleinbürger. Schlimmer, eigentlich Proleten in Sprache und innerer Haltung. Louis selbst hat es zum Schriftsteller gebracht, ist der erfolgreiche Intellektuelle. Eigentlich möchte er (wie naiv, wie sentimental, wie literarisch) seinen Angehörigen erzählen, daß er bald sterben wird. Man wundert sich allerdings nicht darüber, daß es ihm nicht gelingt.
Fünf Personen, im Grunde ein Schauplatz, das klingt nach einem Theaterstück und war es ursprünglich auch: Jean-Luc Lagarce schrieb es, jetzt kommt es mit einer starken Besetzung erster französischer Schauspieler, die sich allerdings in einigen Klischees ergehen müssen, auf die Leinwand.
 
Der todkranke Held mit waidwundem Blick, meist schweigend, ein tiefes Gemüt, enttäuscht von allen (Gaspard Ulliel, bekannt seit seiner Darstellung des Yves Saint-Laurent, derzeit auch für „Die Tänzerin“ im Kino); die laute, penetrante, übersprudelnde Mutter, deren goldenes Herz natürlich zum Vorschein kommt (dabei hat man Nathalie Baye in ihren jungen Jahren als besonders verinnerlichte Darstellerin mit verschüchtertem Image in Erinnerung); die unsichere Schwester in der Familienhölle (die eher blässliche Léa Seydoux); die durch und durch gut meinende Schwägerin, von der man sich nicht vorstellen kann, wie sie in diese schlimme, nervtötende Mischpoche geraten ist (wieder einmal ideal besetzt als Seelenvolle: Marion Cotillard).
Die interessanteste Figur ist der bis in die Fingerspitzen aggressive Bruder, neidvoll, gebeutelt von tief sitzendem Haß gegen die Intellektuellen, denen er auch Überlegenheitsansprüche und Hochmut andichtet, wo sie gar nicht bestehen: Vincent Cassel ist geradezu zum Fürchten, weil es diese Böswilligen, die sich immer zurück gesetzt fühlen, im Alltag wirklich gibt.
 
Ganz ohne Geständnis seines baldigen Ablebens zieht der erschütterte Schriftsteller ab, nachdem alle Figuren einiges an Selbstanalyse geleistet haben, über Schwächen, Versäumnisse, Frustrationen. Die Anklagen fetzen schlimmer herum als bei den Seelen-Strip-Fernsehshows. Das ist wohlfeile Küchentisch-Psychologie, und dagegen helfen weder eine noch so großartige Besetzung noch ein so hoch gelobter Regisseur wie der erst 27jährige Kanadier Xavier Dolan. Das nervt, ohne daß man im höheren Sinn etwas davon hätte.
 
 
Renate Wagner