Beckfelds Briefe

An Hülya

von Hermann Beckfeld

Hermann Beckfeld - Foto © Dieter Menne
Liebe Hülya,

was hältst Du davon, wenn wir die Zeit zurückdrehen? Nein, nicht nur um Stunden und Tage, sondern gleich um ein Vierteljahrhundert. Da hast uns in Deiner Taverne bewirtet, und weil Göcek, Dein eh schon verträumtes Fischerdorf an der Küste der Türkischen Riviera seinen Mittagsschlaf hielt, hattest Du Zeit, unsere Zukunft aus dem Kaffeesatz zu lesen.
„Ne didinse o olsun ... was Du Dir wünschst, soll in Erfüllung gehen“, mußten wir flüstern, während wir die Tasse mit dem Unterteller bedeckten, beide umdrehten und der Prütt Symbole zeichnete. Heute kann ich Dir versichern, daß mein großer Wunsch an jenem Tag im Juni 1991 in Erfüllung gegangen ist; daß vieles wahr geworden ist, was Du vorausgesagt hast. Und daß danach eine meiner schönsten Reisen begann, die Blaue Woche auf einem aus edlem Holz gebauten Motorsegler, der den schönen, treffenden Namen „Odyssee“ trug. Wir ließen uns von Wind und Wellen treiben, fuhren vorbei an schroffen Küsten, einsamen Inseln und Stränden und blieben doch an Bord.
Warum ich Dir gerade jetzt schreibe, weiß ich so recht selbst nicht. Gefühlt gibt es mehrere Gründe. Vielleicht, weil vor zwei Wochen mein Freund Rolf Nöckel aus seinem neuen Buch „Reisen ist Glück“ einige Geschichten vorlas und ganz zum Schluß von unseren Traumtagen und Traumnächten auf der einwöchigen Segeltour schwärmte. Vom endlosen Sternegucken, von Melancholie und Ausgelassenheit, vom Spiel der Wolken über den weißen Segeln, von Kopfsprüngen ins türkisfarbene Wasser vor dem Frühstück, von Rotwein und Beatles-Liedern, von unserem Kumpel Manni, der mit dem Rücken am Großmast lehnte, Gitarre spielte, und die türkische Crew sang mit. „Michelle, ma belle ...“
Vielleicht schreibe ich Dir auch, weil ein Sommer zu Ende geht, der für Euch ein schrecklicher war. Weil niemand Urlaub macht, wo Terroristen morden, wo geputscht wird, wo ein Machthaber herrschen kann, wie er will. Eure Hotels stehen leer, viele Tavernen haben geschlossen, die „Odyssee“ wird im Hafen dümpeln, und kein Tourist ist da, dem Du die Zukunft vorhersagen kannst.
Vor 25 Jahren, da war alles anders, zumindest in Deinem Dorf, an Deck der „Odyssee“. Es war so herrlich unbeschwert, fast magisch. Das „Kave falli bakmak“, das Kaffeesatzlesen von Dir, unserer Hülya, einer hübschen Wirtin und jungen, lebenslustigen Frau mit strahlend blauen Augen; die Gastfreundschaft Deiner Landsleute, die Leichtigkeit des Lebens, die Zuversicht.
Kapitän an Bord war Salih, ein sympathischer Schweiger am Ruder, ein Kurde, was keine Rolle spielte. Zur Besatzung gehörten die Bootsleute Mesut, „Der Glückliche“, und Ümur, „Viel Leben“. Wohlklingende Namen, die einen guten Kurs versprachen. Sie haben uns jeden Wunsch erfüllt, servierten uns um Mitternacht Spaghetti mit Ketchup. Ein Leckerbissen für die Seele: Wir saßen am blanken Holztisch, der Abendwind kühlte die Haut, wir schliefen unter freiem Himmel.
 
Liebe Hülya,
damals hat es funktioniert, im Prütt hast Du Fisch, Klumpen und Hund gesehen und mir einen guten Freund und noch mehr Gutes prophezeit; viele deiner Vorhersagen sind wahr geworden, meine geheimen Wünsche haben sich erfüllt. Gern würde ich auch Dir ein wenig Glück schenken. Versuche es einfach mal, drehe Tasse und Teller um und flüstere: „Ne diledinse o olsun … was Du wünscht, soll in Erfüllung gehen.“
 
Mit besten Grüßen
Hermann Beckfeld  
 

Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Ruhr Nachrichten.
„Beckfelds Briefe“ erscheinen jeden Samstag im Wochenendmagazin dieser Zeitung.