Zehnmal Ich statt Kopftuchobjekt

Jugendstück „FacetTen“ wirbt für offenen Blick auf den Islam

von Martin Hagemeyer

© Haus der Jugend Barmen

Zehnmal Ich statt Kopftuchobjekt
 
Jugendstück „FacetTen“ wirbt für offenen Blick auf den Islam
von Dilara Baskinci und Charlotte Arndt mit Texten der Beteiligten
Close-Up-Ensemble am Haus der Jugend Barmen
 
Wuppertal. Nicht nur beim Thema Integration gilt: Wohlmeinen ist eine zweischneidige Sache. Bloß fürsorgliches Interesse wird zum Beispiel auch am globalen Konzept Entwicklungshilfe inzwischen doch kritisch gesehen, bleibt doch beim Muster „Bedürftiger – Helfer“ das Rollendenken unangetastet. Kein Objekt mehr sein: Im Bühnenstück „FacetTen“, jetzt in der Wuppertaler Oper zu sehen, reklamieren muslimische Mädchen das für sich und ihre Situation – und sie tun es lautstark, laut und stark.
 
Als Teilergebnis des Projekts „Close Up!“ treten hier zehn junge Musliminnen vors Publikum – mit Szenen und Musik, vor allem aber mit Wucht und Wut im Bauch. Regie führen Dilara Baskinci und Charlotte Arndt aus Wuppertal, und ihre Inszenierung wurde dieses Jahr mit dem Jugendkulturpreis NRW (2. Preis) ausgezeichnet. Kraftvoll und einnehmend kritisiert da ein Mädchen mit Kopftuch das Verhalten etwa einer Lehrerin. Durchaus dramatisch wird auch gestritten unter den Akteurinnen,
wenn etwa eine die Klagen der anderen herunterspielt: „Warum fühlst du dich so angemacht?“ Dann gibt es Kontra, und der Mut zum Dissens paßt zum Grundsatz des Stücks: Gerade kein Kollektiv will man sein, sondern zehn Personen.
Individuum statt abstrakter Kopftuchdiskurse ist die wichtige Forderung, und heute bot sich auch das Opernhaus erfreulich als Forum dafür. Soweit das nun gönnerhaft klingt, würden die Macher und Träger des Projekts sicher sofort intervenieren: Auch Helge Lindh, Vorsitzender des
Integrationsrats Wuppertal, hatte vorab in seiner Ansprache die Laudatio zur Preisverleihung an einem Punkt kritisiert, wo es nämlich hieß, das Stück gebe jungen Musliminnen „auf eindrucksvolle Weise eine Stimme.“ Sein Einwand: Nein – die Stimme haben sie längst, aber man müßte ihnen zuhören. Heute (und bei weiteren Auftritten) gab es dazu nun also Gelegenheit, und das war gut so.
Mancherlei läßt aufhorchen dabei: „Ich freue mich das ganze Jahr auf den Ramadan“, erzählt eine der Musliminnen, ganz entgegen dem Klischee, das religiöse Vorschriften allzuoft nur als Einschränkung sieht. Auch zum Kopftuch, lernt man, wäre etwas Entkrampfung angemessen, denn so manche trägt es ganz bewußt und mit Stolz. Eine junge Frau macht das Fastenthema lebendig und nachfühlbar, mit viel Energie und hier auch mal Witz: So sehr habe sie sich unterwegs einmal „auf die Würstchen“ am Abend gefreut, Rind oder Geflügel natürlich – und dann gab es nur Schwein.
 
Muslim sein heißt ganz Verschiedenes: Die Botschaft kommt an, denn es wird wirklich stark gespielt bei diesem Projekt – sicher nicht zuletzt weil sie auch eigenes Anliegen der Spielerinnen ist. Ein wenig Irritation bei so viel Selbstbewußtsein nimmt man in Kauf, etwa wenn eines der Lieder „Immer diese Fragen“ heißt und der Refrain behauptet: „Irgendwann reicht es! Das müssen wir sagen!“ Fragen wird man aber schon noch dürfen, möchte man da entgegnen, und Anlaß zu Fragen zwischen den Kulturkreisen wird es künftig sogar eher mehr geben als weniger.
Dennoch: Gerade die Musikstücke des Abends vermitteln mit ihrer Ohrwurmqualität sein Anliegen vielleicht am wirksamsten. Wo manch Szenisches sich etwas zieht und die nette Idee einer allzu angepaßten Frau „Assi Milation“ praktisch allein die zweite Hälfte füllt: Da spricht direkter an, wie die jungen Frauen zum Mikro greifen und rhythmisch in Bewegung geraten. Ihr Orient-HipHop geht ins Ohr, aber auch in den Kopf und bleibt darin. Vor allem den Songs mit ihrer Botschaft möchte man noch mehr Verbreitung wünschen – über den Abend und die Oper hinaus.