77 weitere Anlässe zum Vergnügen

Otto Jägersberg – „Die Frau des Croupiers“

von Frank Becker

Ein Füllhorn
 
 
Beim Durchblättern alter Tagebücher
Sehr komisch, dauernd mußte er lachen. Dabei hatte er nur zwanzig Jahre lang voller Wut und Verzweiflung die Dummheiten seiner Frau aufgeschrieben. Beinah tat es ihm leid, daß er sie verlassen hatte. Sie hatte doch für Unterhaltung gesorgt.
 
Es ist reichlich ein Jahr her, daß ich Ihnen von dem Vergnügen erzählen konnte, das sich mit der Lektüre von Otto Jägersbergs Prosagedichten „Keine zehn Pferde“ einstellte – und das bis heute anhält. Nun legen Otto Jägersberg (*1942) und mit ihm der Diogenes Verlag mit den 77 Stücken der Sammlung von Erzählungen und Kurzprosa „Die Frau des Croupiers“ in gleicher Qualität nach. In sieben Kapitel gefaßt, präsentiert Jägersberg „Kalendergeschichten, Erinnerungsskizzen aus deutscher Vergangenheit, Begebenheiten aus dem Leben von Dichtern, Denkern und Verbrechern, Erzählungen, Kürzest-Essays, Anekdoten, Beobachtungen“. Von Frauen auf schwanken Stegen, dem Bösen in Gestalt von Josef Stalin, der schönen verruchten Spionin Mata Hari und ihrem fehlenden Schädel, von einem Besuch am Titisee, den Problemen eines Beischläfers (außerehelich), fatalen Entscheidungen und einem verstörenden Vorfall auf der Lichtenthaler Allee erzählt Jägersberg in scheinbar einfacher, doch kostbar ausgefeilter Sprache. Das ist von seriösem Ernst und geschliffenem Witz ebenso durchzogen wie von psychologischem Tiefgang und volkstümlichem Humor.
Neben solch wirklich kurzer Prosa in perfekter Reduktion wie hier oben und unten beispielhaft eingefügt, finden sich aber auch etwas weiter ausgesponnene Erzählungen wie die dramatische Begebenheit aus dem Leben eines Museumswächters und deren Folgen „Der Mann ohne Gesicht“ oder die kuriosen Kriminalgeschichten „Hau“ und „Der Maisfeldschläfer“. Wir begegnen neben Kunstfiguren des dichterischen Augenblicks großen Namen der Ewigkeit wie Martin Luther, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Carl Gustav Jung, Felix Graf Luckner, August Stramm und Franz Kafka – dem sogar gleich zweimal.
 
Dieses Buch ist ein Füllhorn, es sollte stets griffbereit sein, gehört also in die Handbibliothek nahe beim Lesesessel. Und weil es so viel Spaß macht, wieder und wieder darin zu schmökern, bekommt es unsere Auszeichnung, den Musenkuß.
 
Schlankheitskur
Ein Tennislehrer bekommt von einem Russen, der im Brenners wohnt, den Auftrag, seine übergewichtige Tochter zu trainieren, Stunde fünfzig Euro. Mehr als auf die Verbesserung ihrer Balltechnik hofft der Vater auf Gewichtsabnahme. Das Mädchen entzieht sich der Stunde, indem sie dem Tennislehrer hundert Euro in die Hand drückt und ins McDonald's entschwindet.
 
Otto Jägersberg – „Die Frau des Croupiers“
Kleine Prosa
© 2016 Diogenes Verlag,  234 Seiten, Ganzleinen mit Schutzumschlag – ISBN 978-3-257-06972-3
20,- € (D) / 27,- sFr /  20,60 € (A)
 
Weitere Informationen:  www.diogenes.ch