Im besten Sinne feine Dame

Senta Berger bezaubert mit Polgar-Programm

von Martin Hagemeyer

Senta Berger © Veranstalter / Carpe Artem
Im besten Sinne feine Dame
 
Senta Berger bezaubert in Remscheid
mit ihrem Polgar-Programm
 
Am Ende hat es doch gepaßt. Senta Berger würde in Remscheid Alfred Polgar lesen, wußte man, und weil man aber von Alfred Polgar nicht viel mehr wußte, als daß er Wiener Kaffeehausliterat war, erwog man vorab Einstimmung im Kaffeehaus – einem, das mehr sein sollte als eine x-beliebige Koffeinschenke. Wo aber finden? Wie durch ein Wunder nennt tatsächlich eine Bäckerei kaum zehn Minuten vom Teo Otto Theater ihren Sitzbereich „Wiener Café“, doch bei der Donauwelle dort kamen die Zweifel: Gilt nicht wienerische Gemütlichkeit als durchaus hinterhältig, selbst die herzige Mundart als Kostüm für Gemeinheiten? Nicht umsonst verkehrten einst im Wiener Café Central außer Polgar auch Ätzfedern wie Karl Kraus. Sei's drum: Senta Bergers Programm erwies sich dann im besten Sinne kaffeezeit-kompatibel – geistreich, aber komplett liebenswürdig.
 
Das hat auch mit der Auswahl aus Polgars umfänglichem Werk zu tun: „Sie und Er – die Himmelsmacht“ ist heute das Thema, das ja doch nach scharfer Parteinahme weniger schreit als etwa die Politik seiner Zeit. Aber die Schauspielerin (Alter unbedeutend), strahlend schön und selbst aus Wien gebürtig, trägt im ganzen Auftreten enorm bei zu Intelligenz wie Sympathie des Abends. Abends? Es ist gerade vier Uhr, aber schon da zeigt sich die Diva viel weniger divenhaft als auf Augenhöhe: „Guten Abend! … Ich habe gewußt, ich würde 'Guten Abend' sagen.“ Und es bleibt bei diesem Ton.
Was folgt, sind durchweg Ehe- und Beziehungsszenen, und sie klingen zwar vertraut, als hätte Polgar sie einfach mitgehört am Kaffeehaustisch, verraten aber die sorgsame Komposition. Einmal geht es minutenlang um ein harmloses „So?“ eines Gatten irgendwo im ehelichen Gespräch. Sie findet's „brutal“, und er, weil er sie liebt, postwendend auch. Nach kleinlauten Versuchen der Wiedergutmachung beginnt wiederum er die Gattin zu dauern, und ihr generöses „Hast du Hunger?“ gewährt endlich Versöhnung. Alles durchsetzt von einer Ironie, mit der man die Personen gar nicht anders kann als mögen, wie hier in seinem Wunsch nach Selbstbehauptung: „Hunger gerade nicht ... aber ich denke ohne Unbehagen ans Essen.“
Musik gehört natürlich auch zu einem entspannten Sonntagnachmittag im Zeichen des Kaffeehauses, und die bringt auf der Bühne schön das „Klenze-Duo“ ins Spiel: David Frühwirth (Violine) und Johannes Zahlten (Viola) begleiten Senta Berger getreu bei ihren Lesungen aus Wiener Literatur, mit denen sie bei wechselnder Textauswahl schon einige Jahre durch die Lande tourt. Ob „Liebesleid“ des Österreichers Fritz Kreisler oder der hübsch gefiedelte „Csardas“ des italienischen Komponisten Vittorio Monti: Fein und heiter ist auch die Melancholie, mit der die Herren aufs Zeichen ihre melodischen Intermezzi setzen.
 
Das Muster der Hunger-Episode: Es scheint immer wieder durch in den heutigen Polgar-Texten; und auch das zeigt, daß sie eben nicht einfach protokolliert sind, sondern Teil eines Konzepts. Weiblich ist demnach eine Logik, die immer sie als Leidtragende dastehen läßt; männlich ist, ihr dabei auf den Leim zu gehen. Selbst als er sich wegen ihrer Untreue beklagt hat, geht sie erneut fremd und rechtfertigt das damit, seine Klagen hätten sie ja völlig „außer Rand und Band gebracht“. Ihr Rat, als er weinend vor ihr kniet, und zwar aufrichtig lieb gemeint: „Geh doch mal wieder zum Friseur.“
Ja, das sind durchaus Klischees. Aber erstens verurteilt der Dichter keine der Seiten, und zweitens stellt auch die Schauspielerin, die Frau also, sich offenbar auf keine. So kennt man es doch, scheint die Übereinkunft mit dem Publikum, das sich auch nicht scheut, hie und da hörbar zuzustimmen. Ohne jede Plattheit aber geschieht das, denn Senta Berger liest nicht nur ebenso voll wie nuanciert, sondern ergänzt immer wieder feine Einschübe, die gar kein wirkliches Zwinkern brauchen, um augenzwinkernd zu sein. Gerade eben, erzählt sie, habe sie sich selbst auf einem Foto im Foyer gesehen und dann erst erinnert, vor 37 Jahren schon einmal hier gewesen zu sein, mit „Hedda Gabler“: „Obwohl diese ja kein Kind wollte – ich aber doch.“ Im Jahr darauf kam ihr Sohn zur Welt. Ganz Dame schließlich schied Berger im Bedauern, heute leider nicht für ein paar Worte oder ein Autogramm noch bleiben zu können – letzter Flieger, Drehtermin: „Ich möchte Sie bitten, daß Sie mich entschuldigen.“ Einerseits ungern taten das die begeisterten Zuschauer, freilich umso verständnisvoller: Bei so viel Charme hat Murren ja überhaupt keine Chance.