Der Großmeister der skurrilen, surrealen Malkunst

„Hieronymus Bosch – Garten der Lüste“ von José Luis López-Linares

von Renate Wagner

Hieronymus Bosch – Garten Der Lüste
(Spanien/Frankreich 2016)

Regie: José Luis López-Linares
 
Es ist Bosch-Jahr – runder kann man es kaum bekommen. 1516, also vor einem halben Jahrtausend, ist der Großmeister der skurrilen, surrealen Malkunst – einst wie heute über die Maßen geschätzt – gestorben. Wann, wenn nicht jetzt, bringt man einen Film in die Kinos, der nichts anderes will als ein einziges Werk des Meisters zu interpretieren.
Immerhin eines seiner Hauptwerke, den Flügelaltar „Garten der Lüste“, der im Prado hängt, weil die Spanier ihn in jener Epoche, als sie über die Niederlande herrschten, „erobert“ und zu sich heimgebracht haben. Zwischen dem Paradies am linken Flügel und der Hölle am rechten (eine ähnliche Konstellation wie beim „Weltgerichts-Triptychon “, das wir in Wien haben) entfaltet sich ein „Garten der Lüste“ im Mittelteil, wo sich um einen Teich im Hintergrund überbordendes Leben entfesselt.
 
Wie immer bei Bosch ist das Werk voll von skurrilsten Gestalten, seltsamem Humor und faszinierendster Rätsel, die an jeden einzelnen Betrachter ihre Herausforderungen stellen. Der spanische Filmemacher José Luis López-Linares hat nun einen Dokumentarfilm der besonderen Art konzipiert, in dem nichts von einem Sprecher aus dem Off erklärt wird. Stattdessen versammelt er vor dem Altar (dessen täglichem Öffnen als Zeremoniell er huldigt) ein geschätztes Dutzend von Fachleuten und Künstlern, die er teils monologisierend, teils im Dialog vor den Altar stellt. Und sie teilen nun mit uns, was sie angesichts des Werks wissen, fühlen, denken.
Das findet sehr viel auf Spanisch (natürlich), auf Englisch und Französisch statt, und meist sieht der Kinobesucher dazu die Details aus Boschs Altartafeln, die eben im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen. Ganz selten gibt es „Ausritte“ zu anderen Sujets und Themen, im Grunde nur zu König Philipp II., für den Boschs Werke so wichtig waren, daß er sich selbst am Totenbett noch eines bringen ließ: Er sah in den mehr oder minder verklausulierten Horrorvisionen gewissermaßen Weltsichten und Ausgangspunkt zum Philosophieren über „Gott und die Welt“. Da schwenkt die Kamera auch einmal zum Escorial, Philipps Residenz (mehr Festung und Kloster als Palast) und zu Szenen aus Verdis „Don Carlos“.
 
Der Rest ist der „Garten der Lüste“, das zusammengeschnittene Potpourri von Stimmen und Ansichten, bunt gemischt. Man wird ehrlich zugeben, daß man von den Sprechern gerade einmal die drei Schriftsteller Salman Rushdie, Orhan Pamuk und Cees Noteboom erkennt, deren Fotos immer wieder in Zeitungen oder im Internet erscheinen. Ja, und natürlich Sopranistin Renée Fleming, obwohl gerade sie – offen gesagt – nicht viel Interessantes beizutragen hat. Die Sprecher erscheinen gewissermaßen „anonym“, erst am Ende werden sie – wie in manchem Kinonachspann – identifiziert.
Und das ist nun eine eindrucksvolle Mischung aus Kunstfachleuten, bildenden Künstlern, Musikern, aber auch Philosophen und Naturwissenschaftlern, die dem Werk mit Scans auf dem Leib rücken. Mit dieser Vielfalt demonstriert der Filmemacher, was ohnedies völlig klar ist – daß dieser „Garten der Lüste“ nämlich wirklich jedem etwas zu sagen hat und aus jedem Gesichtspunkt zu betrachten ist.
 
Als Kinobesucher schaut man mit, läßt sich von den Menschen, die hier über das Werk reflektieren, quasi an der Hand nehmen – und wird zweifellos vieles hören und sehen, was man vorher nicht gewußt oder nicht so wahrgenommen hat. Allerdings – eines sehr speziellen Interesses von Seiten der Besucher bedarf dieser Film schon.
 
 
Renate Wagner