Eine Ewigkeit des Leidens

„Im Namen meiner Tochter – Der Fall Kalinka“ (Au nom de ma fille) von Vincent Garenq

von Renate Wagner

Im Namen meiner Tochter –
Der Fall Kalinka

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Au nom de ma fille -
(Frankreich – 2016)

Regie: Vincent Garenq
Mit: Daniel Auteuil, Sebastian Koch, Marie-Josée Croze u.a.
 
Wieder einmal hat man es mit einer wahren Geschichte zu tun, die sich am Ende auf der Leinwand fast- unecht ausnimmt. Ein Vater, der überzeugt ist, daß seine Tochter ermordet wurde, verbringt buchstäblich Jahrzehnte damit, den Mann, den er für den Mörder hält (und der es dann wohl auch war), zu jagen, bis er ihn hinter Gitter bringt. Der aber mit dieser Jagd mehr oder minder auch sein eigenes Leben zerstört – wie die Szenen mit dem alten, gebrochenen André Bamberski zeigen, den Daniel Auteuil glaubhaft durch ein halbes Leben hindurch verkörpert.
 
Er war ein soweit glücklicher Mann und Familienvater, der seine Frau möglicherweise vernachlässigt hat, weil die Firma immer zuerst kam, der sie aber ebenso liebte wie seine beiden kleinen Kinder, den Sohn und vor allem seine Tochter Kalinka. In Marokko ist es dann passiert, daß ein deutscher Arzt, Dr. Krombach (Sebastian Koch, so deutsch und scheinbar so solide), gattinlos, aber mit kleiner Tochter, sich an Bamberskis Familie, zumal die Ehefrau, herangemacht hat. Er folgte ihnen dann auch nach Frankreich – und irgendwann war es dann so weit, daß der Ehebruch evident war und die Scheidung folgte. (Wobei die Rolle der Mutter – Marie-Josée Croze – in der ganzen Geschichte höchst zwiespältig ist.)
Wenn die Kinder auch beim schuldlosen Vater geblieben sind – zu den Ferien konnte er sie der Exgattin und dem neuen Ehemann nicht verweigern. Und da kam dann 1982 von einem Tag auf den anderen die Nachricht, daß Kalinka während des Deutschland-Urlaubs plötzlich gestorben sei. Tot, von einem Tag auf den anderen.
Anfangs sah der Verdacht des Vaters gegen den Stiefvater einfach wie die Paranoia eines pathologisch Eifersüchtigen und Haßerfüllten aus. Aber Bamberski hat, wie er später – als alles vorbei war, auch in einem Buch darlegte – von da an seine ganze Zeit, sein ganzes Geld und seine ganze Kraft darauf verwendet, die Schuld von Dr. Krombach zu beweisen. Es ist ihm gelungen, aber als Kinobesucher muß man den langen, mühseligen Weg mitgehen.
Offiziell dauert der Film von Vincent Garenq nicht einmal eineinhalb Stunden, aber man erleidet quasi eine Ewigkeit den jahrelangen Marsch durch (bzw. gegen) die Institutionen, die ewig neuen Gutachten, Anklagen, das Verlorensein unter den Behörden, zumal die Deutschen nicht bereit waren, Krombach (gegen den es mittlerweile auch andere Anklagen wegen Mißbrauchs gab) an die Franzosen auszuliefern…
Da ihm von Rechtes Seite kein Recht wurde, mußte der verzweifelte Bamberski am Ende zum Unrecht greifen und Krombach von Gangstern entführen lassen. Immer wieder ist dieser durch die Maschen des Gesetzes (zumal zwischen zwei Ländern, die einander nicht weh tun wollten) geschlüpft. Und am Ende sah der Bamberski der Leinwand nicht wie ein Sieger aus – und war es wohl nicht. Dennoch, 2011 wurde Krombach verurteilt, fast 30 Jahre nach der Tat.
 
Immerhin ist es keine Kohlhaas-Geschichte, sie hat ihr vages Happyend, aber wenn etwas an dem Film wirklich interessant ist, dann die Schilderung, wie Besessenheit (so berechtigt sie auch sein mag), am Ende den zerstört, der nicht nachgeben kann. Eine so bewundernswerte wie ehrenwerte und gleichzeitig selbstzerstörerische Haltung. Und da der Film im Grunde im Stil einer eher sachlichen Darstellung verläuft, die Dramatik des Ganzen nicht künstlich hochputscht… ja, da trägt man mit Bamberski schwer Tragik und Sinnlosigkeit seines Schicksal. Nicht eben das, was man im Kino so richtig goutiert.
 
 
Renate Wagner