Edgar Degas und Auguste Rodin

Eine Führung durch die Wuppertaler Ausstellung - Kapitel 2

von Gerhard Finckh

Auguste Rodin, Maske des Mannes mit der zerbrochenen Nase, 1864 - Foto © Frank Becker

Edgar Degas und Auguste Rodin
Wettlauf der Giganten zur Moderne

25. Oktober 2016 – 26. Februar 2017
im Von der Heydt-Museum Wuppertal

Bis zum
26. Februar 2017 zeigt das Von der Heydt-Museum in Wuppertal mit der Gegenüberstellung von Werken des Malers Edgar Degas und des Bildhauers Auguste Rodin die erste Ausstellung dieser Art überhaupt. Der Museumsdirektor und Kurator Dr. Gerhard Finkh führt mit kurzen Kapiteln, die wir in den kommenden Wochen vorstellen, in die Chronologie der Ausstellung ein.

Kapitel 2 /Raum 2
Naturalismus – Realismus – Impressionismus
Rodins „Maske des Mannes mit der zerbrochenen Nase“ und die Erfindung der impressionistischen Plastik
 
1862 stürzte der Tod seiner Schwester Rodin in eine tiefe Krise. Kurz vor Weihnachten 1862 trat er deshalb als Novize in ein Kloster des jungen Reformordens der „Pères du Très-Saint-Sacrement“ ein und bezog dort unter dem Namen „Frère Augustin“ eine Zelle. Aber schon im Frühjahr 1863 führte ihn der Ordensgründer und Prior des Klosters, Père Eymard zu seiner Berufung als Bildhauer zurück. Die Ordensbrüder bemühten sich mitten in Paris um eine Erneuerung der christlichen Mission und waren vor allem im sozialen Bereich tätig.


Auguste Rodin, Père Eymard, 1863 - Foto © Frank Becker 

Das mag Rodin bewogen haben, für seine erste bedeutende Plastik – nach dem Porträt seines Vaters und dem des Père Eymard – ein Modell aus der Pariser Unterschicht zu wählen, einen Mann vom Pariser Pferdemarkt, ein Faktotum, bekannt unter dem Namen Bibi.
Bibi war in Künstlerkreisen als billiges Modell bekannt und zeichnete sich durch eine gebrochene und schlecht verheilte Nase aus. Nach ihm schuf Rodin 1864 „Die Maske des Mannes mit der zerbrochenen Nase“. In typologischer Hinsicht schließt diese Maske an antike Bildnisse an, so etwa an den „Pseudo-Seneca“, wozu auch die Binde der „Unsterblichen“ paßt, die den oberen Rand der Maske einfaßt. Andererseits bezieht sich Rodin mit diesem Porträt auf ein Bildnis Michelangelos, den er auf das höchste verehrte, und dessen ebenfalls eingeschlagene Nase.
Als Rodin diese Maske in der Gips-Version 1864 zum Salon einreichte, wurde sie abgelehnt. Mag sein, daß die absichtsvoll zur Schau gestellte Häßlichkeit die Juroren abschreckte, die Rodin ganz „naturgetreu“, „naturalistisch“ zeigte, mag sein, daß diese Maske als eine politische Agitation im Sinne eines sozialkritischen Realismus, als Aufruf zur Veränderung der Situation der Arbeiter verstanden wurde, mag sein, daß dieser farblos blasse, in unedlem Material vorgestellte Gipsscherben einfach nicht auf Interesse stieß, jedenfalls entging den Juroren des Salon, daß Rodin mit der Modellierung dieser Maske etwas völlig Neues geschaffen hatte: eine impressionistische Plastik. Rodin hatte sich bewußt von der glatten Großflächigkeit der klassizistischen Plastik, wie sie noch der Büste des Père Eymard zu eigen ist, abgewandt, um mit dem Aneinander- und Aufeinanderkleben von kleinen Tonklümpchen eine unruhige Buckel- und Löcher-Modellierung zu erreichen. Während sich auf den Buckeln das Licht sammelt, erzeugen die kleinen „Täler“ dazwischen Schattenzonen, so daß dieses modelé zu einer lebendigen Oberflächenspannung führt. So wie die Maler des Impressionismus die glatte Bildoberfläche des Klassizismus aufgaben, um durch dickere Pinselstriche und gespachtelte Flächen ein neues Lichtspiel zu erzeugen, so schuf Rodin mit seiner Technik der „Buckel und Löcher“, wie er es selbst nannte, eine neuartige Bildhauerei, die Plastik des Impressionismus. Erst 1875 konnte er die „Maske“, nun in Bronze gegossen, im Salon ausstellen.