Entmaterialisierung

Dorothee Achenbach – „Meine Wäsche kennt jetzt jeder“

von Michael S. Zerban

Entmaterialisierung
 
Stell dir vor: Du lebst in Saus und Braus. Dein Zuhause ist eine Villa, in der du allerdings selten bist, weil du zwischen Europa und New York hin und her jettest. Deine Kinder werden inzwischen von der Nanny und dem übrigen Personal daheim betreut. Ist das nicht cool? Gut, in der Ehe läuft es nicht so, aber hat nicht alles seinen Preis? Dein Ehemann unternimmt ja alles, um Millionenwerte zu bewegen. Dann: Peng.
Das Imperium bricht zusammen. Der Ehemann landet als Betrüger im Knast, und du hast dich um den Rest zu kümmern. Was du bis zum Ende nicht verstehen wirst, ist der Fall, der ganz, ganz tiefe Fall. Du verstehst das einfach nicht, weil du in dieser Welt zuhause warst, die vollkommen fern jeder Absturzmöglichkeit scheint. Du bist doch nicht einer von diesen unterhaltspflichtigen Vätern, die auf einen steinharten Anwalt der Gegenseite treffen, an ihrer Unkenntnis scheitern und sich schließlich ohne Wohnung im Suff auf der Straße wiederfinden. Für die ist auch die Fallhöhe längst nicht so groß.
 
Dorothee Achenbach hat ein Buch über ihre Erfahrung geschrieben, als ihr Mann, der Kunstberater Helge Achenbach, als Betrüger in Haft genommen wurde. Auf mehr als 220 Seiten erzählt sie, wie es ihr und ihren Kindern ergeht, als plötzlich eine Milliardenerbin ihren Mann ins Visier nimmt und ihn finanziell ruinieren will.
Die promovierte Kunsthistorikerin erzählt mit Sarkasmus, Ironie und Bitternis von ihrem Schicksal, das auf sehr hohem Klage-Niveau das Schicksal vieler Menschen in der Bundesrepublik Deutschland wiedergibt. Für diese Menschen gibt es keine Rücklagen, kein doppeltes Netz in Form von Kunstwerken, kein Netzwerk von Freundinnen; diese Menschen laufen – ebenso wie sie – vor die Mauern einer Justiz, die sich in den letzten Jahren mehr denn je jeglicher Menschlichkeit entledigt hat. Und fest darauf baut, daß ihre entwürdigenden Maßnahmen unter jeder Öffentlichkeitsschwelle verlaufen.
Selbst als die Geschichte an ihrem Tiefpunkt angekommen ist, redet die Autorin immer noch über Summen für Anwaltshonorare, die über mehrere Jahresgehälter eines Normalbürgers hinausgehen. Und das macht das Buch „Meine Wäsche kennt jetzt jeder“ so kompliziert. Selbst jemand, der mit einer solchen oder ähnlichen Situation noch nie konfrontiert wurde, gerät ins Staunen. Achenbach wird in der größten Not noch schier verwöhnt, ihre Freundinnen halten zu ihr, unterstützen sie, wo es nur geht. Das hat mit der Lebenserfahrung eines Facharbeiters, der in die Schuldenfalle gerät, nichts zu tun. Aber den treffen die legalen Repressionen gleichermaßen – oder ungleich härter.
Wenn besagter Facharbeiter seine Wohnung verloren hat, nachdem ihn die Gerichtsvollzieher besucht haben – ohne Schwierigkeiten, teure Kunstwerke fachgerecht wegschleppen zu müssen – bleibt ihm das Männerwohnheim. Achenbach berichtet seitenlang darüber, wie schwierig es ist, eine geeignete Wohnung zu finden.
 
Am Ende der Lektüre steht der Leser oder die Leserin eher ratlos da. Jetzt kennt man sie also vermeintlich, die Geschichte hinter der Geschichte, die in den Medien durchgehechelt wurde. Platz für Schadenfreude bleibt nicht, aber wollte man die, als man sich das Buch gekauft hat? Oder war es eher das Bedürfnis, der schillernden Person Helge Achenbach beizukommen und hinter die Schlagzeilen zu blicken? Dann wird man enttäuscht. Zu vieles bleibt da im Dunkeln. Muß wohl verborgen bleiben, um die Interessen einzelner zu schützen. Denn das Leben, aus dem Dorothee Achenbach uns nur einen Ausschnitt gezeigt hat, geht ja weiter. „Wenn alles zu Ende geht, sollte man aufrecht bleiben“, zieht die Autorin Bilanz, obwohl nichts zu Ende ist.
Denn was bleibt, ist die Erkenntnis, daß wir in Deutschland oder allgemeiner in unserer Gesellschaft an einem Punkt angelangt sind, an dem die Menschenwürde jeglichen Stellenwert gegenüber der Geldgier und ihren Folgen verloren hat. Das ist erschreckend, weil wir Generationen brauchen werden, um diese Fehlentwicklung zu korrigieren.
 
Dorothee Achenbach – „Meine Wäsche kennt jetzt jeder“
© 2015 Droste Verlag, 223 Seiten, Kartoniert (TB) - ISBN-10: 3770015789, ISBN-13: 9783770015788
16,99 €