Hoffmanns Zerquälungen

Ein Kontrapunkt

von Peter Bilsing

Wuppertaler Bühnen - eine neue Ära
- quo vadis tatsächlich?
 
Liebe Wuppertaler Opernfreunde, Sie brauchen nicht mehr nach Bayreuth zu fahren...
 
Berthold Schneider ist neuer Opernintendant. Ein Aufbruch in eine neue Ära ist der Saisonstart auf jeden Fall! Aber ob die neue Welle des relativ kompromisslosen „Regie-Theaters“ bei den eigentlich konservativen Wuppertaler Opernfreunden wirklich ankommt und auch das Abo der Theatergemeinden so begeistert ist, wie das Premierenpublikum zu „Hoffmanns Erzählungen“, welches üblicherweise in nicht geringen Teilen aus wohlwollenden („Claqueure“ wäre ein zu harter Begriff) Fans und Freunden der vier „internationalen Regisseure“ und Hauspersonal bestand (zumindest so meine Bobachtung und Wahrnehmung), wage ich zu bezweifeln.
 
Musikalisch haben sich Welten verbessert, denn Kamioka - so gut wie er als Dirigent der Sinfoniekonzerte war - hatte in der Oper über die Jahre kein richtig überzeugendes Dirigat abgeliefert. Ganz anders David Parry bei der Hoffmann-Premiere; da spielten die Damen und Herren des Sinfonieorchester Wuppertaler fast begnadet gut auf. Ähnlich hohe Qualität hatten wir jahrlang nicht mehr gehört. Und auch gesanglich war die Aufführung ohne Fehl und Tadel auf sehr hohem Niveau.
 
Nun zur Produktion, die ihre Nagelprobe demnächst im realen Abonnement des Alltags und der anreisenden Theatergemeinden und Besucherzirkel haben wird. Da sehe ich noch lange keine solche Riesenbegeisterung, es wird eher Irritation und Ärger geben.
Ich weiß nicht, ob der Alltagsopernfreund das alles so leicht verkraftet, denn das Ganze hat nicht viel mit den traditionellen „Hoffmanns Erzählungen“ zu tun, die man so kennt. Mit „man“ meine ich Sie, verehrte Lesergemeinde der Opernfreunde, denn ich weiß ja schon seit letztem Sommer (Bregenzer Festspiele 2015: Herheims „Hoffmanns Erzählungen“ im Festspielhaus), daß der Dichter eigentlich schwul, besser formuliert: eine Tunte ist, die sich überwiegend in Strapsen und Rokoko-Unterwäsche feiern läßt.
Mich kann also nichts mehr erschüttern. Aber vielleicht gefallen Ihnen ja:
- Stella als eine Art Neuenfels-Parodie (die stets betrunken und Unsinn lallend den Abend begleitet)
- unsäglich lange, gesprochenen Zusatztexte, die das Ganze auf fast 4 Stunden aufblähen
- ein blutiger Olympia-Akt *
 
* nicht nur durch das Absägen der Hand einer attraktiven Nackten, die vorher auf einem Teppich so voyeuristisch wie sinnlos über die Bühne gezogen wird, sondern auch dank einer Olympia, die mich hier irgendwie an James Bonds Beißer-Bösewicht (Moonraker, 1979) erinnert, wenn sie erst ein Vögelchen mit ihren Metallzähnchen zerfetzt und schließlich Hoffmanns kleinen Hoffmann bei einer von allen bewunderten Fellatio blutig abschnibbelt - aber vielleicht ist dies ja ein Akt zeitgemäßen Beschneidungsrituals, den ich nur nicht verstanden habe...
Doch weiter: Überspringen wir den Antonia-Akt mit der sich ständig in die Ecke stellenden Antonia bzw. Hoffmann und (schon wieder Blut!) die projizierten Blutspitzer an der kleinen Berliner Mauer. Daß Antonia am Ende wie eine in den Orkus fahrende Mülltonne im Boden versinken muß, sieht allerdings - ganz entgegen der traurigen Handlung - irgendwie komisch aus.
 
Springen wir also in den von allen doch so geliebten und schön musikalisch komponierten Giulietta-Venedig-Baccarolen Akt:
Natürlich erwartet keiner mehr auf der heutigen Opern-Bühne Gondeln, oder doch?
Unter uns: diese falsche Romantik war immer schon unlogisch und verlogen, denn die Geschichte spielt ja ganz einfach gesprochen im Bordell. Ja, dieser Jaques Offenbach war schon ein Witzbold und Zyniker. Romantik im Puff. Sauerei!
Dann ist es doch eigentlich gar nicht mehr so schlimm, wenn man die Handlung in der Wuppertaler Version folgerichtig (?) in der Irrenanstalt spielen läßt, oder stört Sie das nun doch? Es ist wohl ein Sanatorium der besonderen Art, denn hier agieren sexy Krankenschwestern in High Heels und weiß rotem Gummikostüm, die schonmal ihre Patienten mit Infusionsschläuchen fesseln, würgen oder ähnliche Dinge tun. Krankenschwesternsex will ich nicht unterstellen, denn am Ende wird Hoffmann, in einer antiken Badewanne stehend, kalt abgeduscht (keine Sorge, er ist nicht nackt!) und singt dazu; was das „Premierenpublikum“ schwer begeisterte - irgendwie erinnert mich das an den schönen Woody Allen-Film „To Rome with Love“ (2012): da gab es einen tollen Sänger, der aber nur unter der Dusche singen konnte...
 
Nun denn, genug! Jetzt wissen Sie, was auf Sie zukommt.
Trauen Sie keinem Kritiker - mir natürlich auch nicht ;-)
Und so komplettiere ich meinen Satz vom Anfang, sie erinnern sich, wo es heißt:
 
Liebe Wuppertaler Opernfreunde, Sie brauchen nicht mehr nach Bayreuth zu fahren...
 
... um sich zu ärgern!
 
 
Trailer zum Stück
© Peter Bilsing – Eine Übernahme aus „Der Opernfreund“ mit freundlicher Genehmigung
Redaktion: Frank Becker