Nichts daran berührt wirklich.

„Ben Hur“ von Timur Bekmambetov

von Renate Wagner

Ben Hur
(USA 2016)

Regie: Timur Bekmambetov
Mit: Jack Huston, Toby Kebbell, Morgan Freeman u.a.
 
Sandalenfilme – man erinnere sich an ihre ganz große Zeit, an „Spartacus“, „Quo vadis“ und Hunderte davon, die von den Italienern gedreht wurden – sind mittlerweile lange aus der Mode. Einer der letzten, der Erfolg und auch Hochachtung für die Machart erntete, war Ridley Scotts „Gladiator“ im Jahr 2000 mit Russell Crowe, der dafür den „Oscar“ erntete. Und Wolfgang Petersen brachte „Troja!“ 2004 gerade so über die Runden, Kunststück, mit Brad Pitt, Orlando Bloom und ein paar hochkarätigen Oldies – Oliver Stone gelang das im gleichen Jahr mit „Alexander“ (trotz „Zuckerln“ wie Angelina Jolie als Olympias) nicht.
2014 floppten die Sandalen gleich im Dreierpack: Eine „Pompej“-Geschichte (als Katastrophenfilm aufgezogen) ging weitgehend unbeachtet unter, „Noah“ (obzwar mit Russell Crowe, aber gotterbärmlich langweilig) und die „Moses“-Geschichte „Exodus“ (eine wacklige Neuversion der „Zehn Gebote“ mit einem miserablen Pharao-Darsteller) spielten bei weitem nicht ihr Geld ein.
Eine Neuverfilmung von „Ben Hur“ bleibt folglich konzeptionell gänzlich unverständlich – zumal der „Klassiker“ mit Charlton Heston samt Wagenrennen letztlich unerreichbar ist (1959, elf Oscars). Außerdem macht man sich mit einer (mit Ausnahme von Morgan Freeman) unbekannten Crew (eine Menge schöner, leerer Gesichter) und einem russischen Regisseur auf den Weg, dergleichen für uns wieder zu beleben – das schien von vornherein zum Scheitern verurteilt. Und genau so kam es auch – künstlerisch und in den USA auf Anhieb an den Kinokassen.
 
Timur Bekmambetov, der Kasache, der als Russe gilt, hat in Hollywood schon echte Action („Wanted“) und Blödsinns-Action („Abraham Lincoln, Vampire Hunter“) abgeliefert, nun bemüht er sich um die Historie. Eine kurze Einführung mit der Stimme von Morgan Freeman bereitet auf Kommendes vor (merk’s, das Wagenrennen wird kommen), dann ist man in Jerusalem, das schon ein bißchen nach Cinecittà aussieht, eine quirlige jüdische Bevölkerung, gnadenlos brutale römische Besatzer. Für die Freundschaft zwischen dem jüdischen Prinzen Juda Ben Hur und dem römischen Offizier Messala bleibt nicht viel Zeit (für die Damenwelt noch weniger), schon kommt es zum Aufstand, schon landet unser Held auf der Galeere.
Das rhythmische Trommeln, das gleichförmige Rudern, die verengte Welt von Schmerz und Aussichtslosigkeit münden in eine wilde Seeschlacht, wobei es anschließend anders weitergeht als in dem bekannten Ben Hur-Film, den man ja doch nicht aus dem Kopf bekommt: Nein, Ben Hur rettet keinen römischen Anführer und kommt nach Rom, er rettet sich selbst auf einer Holzplanke, wird dankenswerterweise vermutlich irgendwo in Nordafrika angespült, und Auftritt – Gott sei Dank – Morgan Freeman als Scheich Ilderim (der im vorigen Film eine Nebenrolle war, hier gewaltig aufgewertet ist): Endlich eine Persönlichkeit auf der Leinwand, sagen wir ehrlich, es ist und bleibt die einzige in diesem Film, und selbst eine Langhaar-Perücke mit weißen Locken kann diesen Mann nicht lächerlich machen…
Parallel sieht man nun, wie Messala daheim fürs Pferderennen übt, während unser armer Ben Hur aus seiner Ohnmacht erwacht – und von herrlichen weißen Pferden umgeben ist. Unser jüdischer Prinz ist bei den Arabern, und danken wir irgendeinem Gott, daß diese damals offenbar nicht antisemitisch sind. Denn jetzt darf er sich lange mit den Pferden anfreunden, und man weiß, warum…
Als Juda mit den herrlichen weißen Pferden und dem Scheich in Jerusalem eintrifft, hat man als Zuschauer schon mühselige eineinhalb Stunden des ohnedies „nur“ zweistündigen Films hinter sich, und man weiß, worauf es hinausläuft: das Rennen. Viel Zank in der Presse, ob es (mit viel digitaler Hilfe) genau so gelungen sei wie das originale bei William Wyler und Charlton Heston – nun, das wird jeder anders empfinden, wieder sind es Details rund um den Scheich, die man gerne sieht, etwa wie er Juda, dem er alle Tricks beigebracht hat, die Schwierigkeiten der Rennstrecke erläutert und dann beim Rennen an der Seite steht wie irgendein Formel 1-Chef und mit Kopfzeichen Anweisungen gibt.
 
Im übrigen darf man die Brutalitäten mitansehen (wenn auch in so rascher Schnittfolge, daß nichts wirklich „ausgeführt“ scheint), die zu einem derartigen Spektakel dazu gehören – nur die gezackten Messer, die Messala im alten „Ben Hur“-Film aus den Rädern ausgefahren hat, vermißt man, oder man übersieht sie in der Hektik. Filme, die nicht mehr gemacht, sondern aus Partikelchen zusammengestoppelt werden, wollen ja oft nichts anderes, als den Zuschauer so zu verwirren, daß ihm der Kopf brummt. Wem geht es noch um die Sache?
Immerhin – da ist ja noch Jesus. Den gab es schon vorher, und im Vergleich zum anderen Film, wo er quasi nur ein Mann in der Distanz war, ist er hier Mensch aus Fleisch und Blut (Rodrigo Santoro), er redet sogar weise und milde (auch am Anfang der Handlung ist man ihm begegnet), er schleppt sich jetzt zu seiner Kreuzigung, die lepröse Familie taucht auf, aber am Ende ist alles so etwas von gut geworden… Selbst Messala und Juda haben sich wieder lieb, alle umarmen sich, die Botschaft der christlichen Nächstenliebe soll wohl ankommen.
Warum betrachtet man das so desinteressiert? Nichts daran berührt wirklich, nichts daran ist mehr als „gut gemacht“, so wie routiniertes Filmemachen heute eben aussieht, wenn man 100 Millionen Dollar zur Verfügung hat, und die beiden Hauptdarsteller sind wirklich kein Preis: Der 33jährige Jack Huston mag Regie-Legende John Huston als Großvater haben (und noch ein paar englische Adelige in der Verwandtschaft), wenn er vor der Kamera steht, hilft ihm das nicht wirklich für den Ben Hur. Und der Fall Toby Kebbell liegt noch schlimmer: Auch er ein Brite Mitte 30, dem die ganze Zeit nur die Unfähigkeit aus den Augen strahlt, seine Rolle des ambivalenten Römers zu verkörpern oder gar zu gestalten. Das ist schon ein Jammer. Wo sind Hollywoods große Schauspieler geblieben? Wie will man mit diesem „Menschenmaterial“, um das grauenvolle Wort zu benützen, eine Filmindustrie am Laufen halten, die letztendlich ja immer nur von den großen Persönlichkeiten lebt und nicht vom Krach, der aus den Computern kommt?
 
Trailer   
 
Renate Wagner