Was wohl aus Millionären geworden ist

Sinnfragen

von Lars von der Gönna

© Heiko Sakurai
Was wohl aus Millionären geworden ist
 
Meine Stadt war immer berühmt für ihre Millionäre. Es gab dort viel mehr als im Landesdurchschnitt. Ich weiß nicht, warum. In der Zeitung habe ich gelesen, daß es jetzt 20 weniger sind als vor sechs Jahren. Das beunruhigt mich. Wo sind sie hin?
Es ist ja ohnehin schwer, sie zu erkennen. Ich wüßte eigentlich gar nicht, wie. Und woran. Ein Freund (kein Millionär, aber reich an Erfahrung) verriet mir, die meisten seien das Gegenteil von dem, was wir erwarten. Statt Zigarre im Mund und Mannequin im Arm, hätten sie alte Brillen und Frauen, die aussehen wie unsere. Rätselhaft. Er fuhr dann fort, sie seien auch keine Hallodris, sondern solche, die abgelaufenen Joghurt kaufen und der Putzfrau verbieten, ihr Handy beim Bungalowfegen aufzuladen.
Ob man sie am Gang erkennt? Federnd leicht, von der Last befreit, jeden Cent umdrehen zu müssen. Oder schwer, weil auch sie wissen: Man gibt den Euro nur einmal aus. Dein Millionär, das unbekannte Wesen. Auch im Fernsehen, wo ja bei Interviews oft unter Leuten so etwas steht wie „Theo V., Zierfischsammler, Jülich“, habe ich noch nie einen meiner Millionäre gesehen. Auch bei Jauch nicht. Was nachzuvollziehen ist: Was soll ein Millionär bei „Wer wird Millionär“? Der ruft bloß „Ich hab schon“ - und die Show ist aus.
Im Bus denke ich manchmal: »Der ist Millionär!“ Oder: „Der!!“ Zu fragen traue ich mich aber nicht. Sind die gar unsichtbar? So was gibt´s. Etwas ist da, aber man merkt´s nicht. Mein Arzt sagte neulich, jeder Mensch, auch der sauberste, habe Milben im Bett. Sehen täte er die bis an sein Lebensende nicht, vielleicht nicht mal danach. 20 Millionäre. Einfach weg. Das schöne Geld.
 

© Lars von der Gönna - Aus dem Buch „Der Spott der kleinen Dinge“
mit freundlicher Erlaubnis des Verlags Henselowsky Boschmann und der WAZ.