Tagebuch eines Weltverbrechens

„Notizen aus dem Vernichtungskrieg“ - Johannes Hürter (Hrsg.)

von Robert Sernatini

Tagebuch eines Weltverbrechens
 
„Kaum ein anderer Beteiligter hat Hitlers Krieg gegen die Sowjetunion
so lebendig und erschütternd beschrieben.“ (Verlagstext)
 
Der Überfall des deutschen Reichs 1941 auf die scheinbar durch einen Nichtangriffspakt zwischen Hitler und Stalin geschützte Sowjetunion war der Beginn eines erbarmungslos geführten Krieges zwischen zwei europäischen Großmächten, der Millionen Menschenleben kostete. Wehrmachts-General Gotthard Heinrici (1886-1971), der zu Ende des 1. Weltkriegs Generalstabsoffizier und sein Leben lang Berufsoffizier war, war seit 1941 in verschiedenen Funktionen, zuletzt als Führer der Heeresgruppe Weichsel, an der Ostfront. Anhand seiner Briefe und Tagebuchaufzeichnen hat Johannes Hürter das „Unternehmen Barbarossa“ und sein Scheitern aus erster Hand dokumentiert.
 
Heinricis Aufzeichnungen sind zum Teil zynische Dokumente des Grauens, die seine Verachtung des „russischen Untermenschen“ erkennen lassen, aber auch der Sinnlosigkeit des Krieges und die der loyalen Befehlsausführung gegen jede Vernunft. Sie zeigen die Perversion des Krieges und die Überheblichkeit der Deutschen, denen der Schutz der Zivilbevölkerung nichts bedeutete, eine Hybris, deren Idee der Vernichtung des „jüdischen Bolschewismus“ und der Eroberung von „Lebensraum im Osten“ zwangsläufig zu ihrer vollständigen Vernichtung und Niederlage führen mußte. Heinricis bemerkenswert ausführliche Aufzeichnungen belegen aber auch die Einsicht des Offiziers in Fehler – eigene und die der obersten Heeresleitung.
Ein hochinteressanter Anhang mit Briefen und Notizen zwischen 1915 und 1939 zeigt die persönliche und politische Entwicklung Heinricis zwischen dem Ende des 1. und dem Beginn des 2. Weltkrieges, den er entschuldigend einen notwendigen „Präventivkrieg“ nennt. Die nüchterne Sicht auf die eigene Lage zeigt sich schon ganz zu Beginn des Russland-Feldzuges, als er am 27. Oktober 1941 an seine Frau schreibt:
„(…) Bei uns selbst ist jede Hoffnung aufzugeben. Wir sitzen im Schlamm u. unergründlichen Wegen mit dem ganzen Nachschub fest, die Kraftwagen haben kein Benzin, die Leute kein Brot, die Pferde keinen Hafer.“
Oder am 28. April 1942:
„(…) Heute war wieder ein ganz böser Tag. Richtiger Mißerfolg eines eines bedeutungsvollen Angriffs von uns. Alles so penibel wie nur denkbar vorbereitet. Trotzdem ging es völlig daneben: hohe Verluste, nicht ein Quentchen Erfolg. Die Truppe ist eben am Ende.“
 
So wie Heinrici müssen viele Wehrmachts-Offiziere gedacht und gefühlt haben, weit mehr als die Verschwörer des 20. Juli 1944. Doch niemand sonst hatte die Haltung, den Mut oder den Schneid, den Versuch zu unternehmen, unter dem Risiko des eigenen Todes durch ein Attentat (Heinrici schüttelte am 13. März 1943 bei Smolensk Adolf Hitler die Hand – Foto Seite 155) das Grauen des Krieges und das Joch des 3. Reichs zu beenden. Noch bis in den Bunker unter der Reichskanzlei folgten hohe Offiziere ihrem offensichtlich wahnsinnigen „Führer“ in unverständlichem Kadavergehorsam.
Gotthard Heinrici berichtet nichts von den Massenexekutionen der jüdischen Bevölkerung in den überfallenen Gebieten durch die Einsatzgruppen. Er muß aber davon gewußt haben. Heinrici geriet im Mai 1945 mit ungebrochenem, beinahe borniertem Offiziers-Stolz in englische Kriegsgefangenschaft. Er starb am 10. Dezember 1971 im Alter von 84 Jahren in Karlsruhe. Es ist anzunehmen, daß er sein eigenes Unrecht nie wirklich erkannt hat.
 
„Notizen aus dem Vernichtungskrieg“ - Johannes Hürter (Hrsg.)
Die Ostfront 1941/42 in den Aufzeichnungen des Generals Heinrici
 
© 2016 Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 248 Seiten, gebunden, 16,5 x 24 cm mit 5 s/w-Fotos und 2 Karten (Vor- und Nachsatz), Bibliographie und Personen-Register
ISBN: 978-3-534-26769-9
39,95 €
 
Weitere Informationen:  www.wbg-wissenverbindet.de