Weinbergs Oper als ästhetischer Widerstand

Ludwig Steinbach – „Weinbergs „Passagierin“ – Eine Analyse der Auschwitz-Oper

von Daniel Diekhans

Weinbergs Oper
als ästhetischer Widerstand
 
Akribisch: Studie beleuchtet Auschwitz-Oper
„Die Passagierin“
 
Der Komponist Mieczyslaw Weinberg (1919-1996) schrieb seine „Die Passagierin“ für die Opernbühne. Doch lange, viel zu lange wollte keine Oper sie aufführen. Bereits 1968 vollendet, erlebte das Werk erst vier Jahrzehnte später seine szenische Uraufführung bei den Bregenzer Festspielen.
 
Die späte Rezeption der „Passagierin“ läßt sich mit ihrem Thema erklären: Auschwitz. In der Sowjetunion, Weinbergs Heimat, war das Erinnern an die Judenvernichtung unerwünscht. Im Westen waren der Komponist und seine Musik bis nach dem Ende des Kalten Krieges unbekannt. Das hat sich zum Glück geändert. Nach David Fannings grundlegender Weinberg- Monographie (2010 auf Deutsch erschienen) hat der Autor Ludwig Steinbach im letzten Jahr eine Analyse der „Passagierin“ vorgelegt.
Auf gut 230 Seiten beschreibt Steinbach detailliert Handlung und Musik der Oper, die auf einer Erzählung der KZ-Überlebenden Zofia Posmysz basiert. Er stützt sich dabei auf die Partitur der deutschen Erstaufführung in Karlsruhe und die Übersetzung von Alexander Medwedjews Libretto. Zum besseren Verständnis hat er fortlaufend Notenbeispiele in den Text eingefügt.
Die akribische Vorgehensweise leuchtet durchaus ein. Das dichte Geflecht von Leitmotiven, das der Autor in Text und Noten herausarbeitet, läßt sich so besser nachvollziehen. Wie bei Wagner sind sie mit Figuren wie Handlungselementen verknüpft und in ständiger Veränderung begriffen.
 
Man nehme nur die den beiden Hauptfiguren zugeordneten Motive. Selbst in der „Epilog“-Szene, in der die Auschwitz-Überlebende Marta zum ersten Mal allein auf der Bühne ist, erscheint in der Musik das Motiv ihrer Peinigerin, der SS-Aufseherin Lisa.
Die Akribie kann allerdings auch die Lesbarkeit des Textes beeinträchtigen. Etwa bei Passagen, die jedes an einer bestimmten Bühnensituation beteiligte Instrument aufzählen. Was auf die Dauer ermüdend wirkt. Zumal der Autor die Handlung abgesehen davon geradlinig, wenn nicht spannend erzählt. Neben der subtilen Leitmotivtechnik zeigt er auch Weinbergs schöpferische Auseinandersetzung mit dem klassischen Erbe. Besonders mit deutschen Traditionen von Wagner bis hin zu Bach. Als Martas Geliebter Tadeusz im Lager die „Chaconne“ aus Bachs zweiter Violin-Partita spielt, ist das ein Akt des Widerstands – und der Kern der ganzen Oper.
 
Dieser musikalische Reichtum könnte als Argument für Steinbachs starke These dienen, daß es sich bei der „Passagierin“ „um die bedeutendste Oper der Jetztzeit“ handele.
Andere Thesen des Interpreten sind weniger stichhaltig. Im Zusammenhang mit dem „Epilog“ heißt es, „der Wunsch nach Vergeltung“ für die unzähligen Ermordeten werde durch die Musik relativiert. Dabei benutzt Martas Leidensgenossin Katja ein anderes Wort: „Keine Vergebung – niemals!“ Auch Marta geht es nicht um Vergeltung, sondern um Erinnerung an die Toten. „Ich werde euch nie und nimmer vergessen.“ Darum ging es wohl auch Weinberg, als er seine „Passagierin“ schrieb.
 
Ludwig Steinbach – „Weinbergs „Passagierin“ – Eine Analyse der Auschwitz-Oper
© 2015 Verlagshaus Schlosser, 237 Seiten mit 147 Notenbeispielen, Taschenbuch
ISBN 978-3-86937-739-1
17,90 €
 
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