Drollig: Splatter nach Motiven von Dr. Heinrich Hoffmanns "Struwwelpeter"

"Shockheaded Peter" an den Bühnen Krefeld/Mönchengladbach in einer Inszenierung von Reinhardt Friese

von Peter Bilsing

„Shockheaded Peter“

Junk-Oper nach Motiven aus „Der Struwwelpeter“ von Dr. Heinrich Hoffmann

von Phelim McDermott / Julian Crouch / Martyn Jacques


Gelungenes Struwwelpeter-Musical an den Vereinigten Bühnen von Krefeld & Mönchengladbach

Premiere 25.Januar 2008


Inszenierung: Reinhardt Friese   -  Musikalische Leitung: Willi Haselbek *  -  Bühne: Günter Hellweg  -  Kostüme: Annette Mahlendorf  -  Puppen: Radovan Matijek *  -  Dramaturgie: Vera Ring  -  Videografie: Frank P. Huhn  -  Fotos: Matthias Stutte
Besetzung:

Theaterdirektor: Adrian Linke - Der Sänger, Sohn einer Sirene: Tobias Wessler *  - Vater / Herr Doktor / Minz, die Katze / Der wilde Jägersmann / Der Schneider / Kaspar, böser Bube / Zappelphilipps Vater / Fischlein: Sven Seeburg - Mutter / Des Jägers Frau / Die Frau Mama, Konrads Mutter / Der Riese Niklas / Zappelphilipps Mutter / Fischlein: Imke Trommler * - Struwwelpeter / Suppenkaspar / Der böse Friederich / Maunz, die Katze / Konrad / Ludwig, böser Bube / Zappelphilipp / Hanns Guck-In-Die-Luft: Ronny Tomiska - Gretchen / Paulinchen / Des Hasen Kind, der kleine Has / Ein kohlpechrabenschwarzer Mohr / Fischlein / Fliegender Robert: Jennifer Kornprobst - Storch / Hund / Wilhelm, böser Bube / Hase / Schwalbe / Fischlein: Radovan Matijek*
Musiker: Jörg Kinzius *, Willi Haselbek *, Christoph Kammer *


Ruhig Blut, Herr Koch!


Was für eine Horror-Geschichte, in der zwei Erwachsene dem Wahnsinn verfallen und alle


Foto © Matthias Stutte
Minderjährigen dahingemetzelt werden! Alle Kinder und jugendlichen Helden dieses Stücks werden entweder vom Hunde zerfleischt, lebendig verbrannt, von den Eltern erschlagen, zu Tode gehungert oder ertrinken, werden in Teile geschnitten oder erstickt. Lebensgroße Hasen ballern nette Jäger über den Haufen, und ein Negerkind wird brutal zusammengeprügelt. Da kommt uns doch manches aus der Tagespresse bekannt vor - oder? Aber, aber, ruhig Blut, Herr Koch! Was inhaltlich nach einem ganz üblen Splatterfilm klingt, ist kein Kettensägen-Massaker Teil 3. Es ist (natürlich in der Originalversion) einmal Deutschlands beliebtestes Lesewerk für unsere kleinen Strolche gewesen: „Der Struwwelpeter“.


Aus der Feder eines Irrenarztes


Genau! Es geht um jenes apokalyptische Werk, welches der Politiker und Irrenarzt Heinrich Hoffmann speziell und streng persönlich in Ermangelung angemessener Kinderliteratur Mitte des 19. Jahrhunderts für seine Kleinen geschrieben hatte. 1845 erschien das putzige Büchlein zum ersten Mal im Druck unter dem Titel „Drollige Geschichten und lustige Bilder für Kinder von 3–6 Jahren“ (Kein Scherz!). Ab 1847 hieß es kurz und prägnant: „Struwwelpeter“. Es wurde bis heute mindestens 25 Millionen Mal verkauft. Durchaus ernstzunehmende Psychologen und Pädagogen begründen das in den nächsten hundert Jahren folgende Leid und Elend des Deutschen Volkes mit genau diesem Geiste der Erziehung. Die Grimm-Brothers lassen in diesem Zusammenhang natürlich ebenfalls grüßen! Jener Bilderbuch-Schocker, Stammliteratur (neben der Bibel) in fast allen teutschen Kinderzimmern anno dunnemals, wurde in unzählige Weltsprachen übersetzt.

Schwarzer englischer Humor


Foto © Matthias Stutte
Im Jahre 1997 machte auch die britischen Kultband „The Tiger Lillies“ vor dem Schock-Stoff nicht halt. Fies und schwarzhumorig, wie Engländer nun einmal sind, gab man noch einen drauf – ließ aber das Basiswerk fast unberührt. Das Stück ist in einer Art Bänkelgesang, durchmischt mit Zirkusmusik, Weillschen Anklängen, Reminiszenzen an Tom Waits und einer Prise Beggars-Opera recht zynisch vertont. 1998 wurde es in London von Phelim McDermott & Julian Crouch herausgebracht und wurde nach der Uraufführung ein echter Welterfolg. Die Musik ist eine kuriose Mischung, mal laut und aggressiv, mal einfühlsam, immer temporeich mit viel rhythmischem und melodisch-harmonischem Witz. Der Leadsänger ist eine Art englischer Qualtinger - allerdings tönt er im Falsett, im Tenor des Kastratengesangs (heuer als Countertenor geläufig). Zusammengehalten wird die Geschichte durch einen diabolischen Conferencier, der im Zwiegespräch mit dem Publikum und im Stile eines freigeistigen Frankenstein-Monsters durch das Stück führt.


Hervorragend be- und brillant umgesetzt


An den Vereinigten Bühnen Krefeld & Mönchengladbach hat Regisseur Reinhard Friese in seiner aktuellen Inszenierung das Stück relativ nah am Uraufführungsszenario angesiedelt. Das Spiel im Spiel auf der kleinen überschaubaren Bühne ist ganz im Sinne des Brechtschen Vorhangtheaters eingefädelt – es dominieren weder pyrotechnische Effekte, noch sonstiger Technik-Schnickschnack wie an anderen Bühnen – sondern die Geschichte kommt kammermusikalisch daher und lebt vom Zauber der Darsteller und ihrer Kostüme, bzw. einfacher zirzensischer Theatereffekte.


Foto © Matthias Stutte

Brillant und geradezu darstellerisch artistisch mimen Sven Seeburg und Imke Trommler das brave Ehepaar, welches die Rahmenhandlung absteckt, in der Eltern zunehmend zu Opfern ihrer eigenen Erziehungsmethoden werden. Adrian Linke ist die Idealbesetzung für den bösen Erzähler. Tobias Wessler agiert nicht nur als Sänger überzeugend, sondern dominiert auch noch dazu in den diversen kleineren Partien. Ronny Tomiska als bewegliche Struwwelpeter-Marionette in seinen vielen Alteregos begeistert ebenso, wie Jennifer Anne Kornprobst als Feuerkind, Mohr und mit diversen anderen Gesichtern. Radovan Matijek erhielt für seine riesigen Tierpantomimen spontanen Szenenapplaus.

Künstlerisch steht ein Riesenteam hinter dieser gelungenen Produktion, die im kleinen Rahmen großes Theater bietet. Absolut empfehlenswert, auch als schön schwarzhumoriger Familienabend mit den Kindern; natürlich nichts für 3-6 Jährige, aber wer Harry Potter liest, wird auch hier nicht fürs Leben verdorben. Großartig gemacht, künstlerisch perfekt und gesanglich Klasse! 90 kurzweilige Minuten – sehr unterhaltsam und ohne Pause.

Weitere Informationen unter:  www.theater-krefeld.de