Kochmüller in Wien

von Christian Oelemann

© Cafe Restaurant Bräunerhof, Wien

Kochmüller in Wien


Nicht verbürgt, dafür aber vortrefflich erfunden ist eine Begegnung des Verfassers mit keinem geringeren als Horst Kochmüller, der sich seit Geraumem auch HKM nennt, weil er sich nach seiner Pensionierung eine höchst beachtliche Wortfertigkeit auf der Klaviatur der Weltliteratur angeeignet haben soll, glaubt man den eingeweihten Kreisen, in denen zu verkehren der Verfasser nicht müde wird, um endlich einmal den großen Kochmüller persönlich kennen zu lernen.
HKM befand sich am in Rede stehenden Abend bar jeglicher Begleitung in der Wirtsstube
des Wiener Café-Restaurants Bräunerhof und studierte die Tagespresse, vor sich einen „Gspritzten“ sowie ein Aschenbecher, in dem ein Zigarrenstumpen vor sich hin kokelte, den sein Vorgänger leichtfertig zurückgelassen hatte.
Kochmüller rief den Kellner herbei (es handelt sich um eben den Herrn, der sub sigillo gegen gutes Trinkgeld seine Bedienerlebnisse bei Thomas Bernhard ausplaudert) und bat um eine interessantere Zeitung, denn den „Mist“, der im Morgen stehe, kenne er bereits zur Genüge; er habe ihn so oder ähnlich bereits am Vortage und dessen Vortage vorgefunden, nicht zu schweigen von der Vorwoche und deren Vorwoche. Seit über drei Wochen komme er nun täglich in den Bräunerhof, um Zeitung zu lesen, doch sei es, übrigens ganz anders, als man ihm versprochen habe, kein Vergnügen, im Bräunerhof die Zeitung zu sichten, sondern eher das Gegenteil; er, Horst Kochmüller, vermisse Unterhaltungswert im Bräunerhof, wenigstens einen gewissen.
Der Verfasser, am linken Nebentische sitzend, verfolgte HKMs Kellnerbrüskierung nicht ohne Amüsiertheit, auch wenn er seinerseits Zeitungslektüre vortäuschte. Sodann legte er die Gazette beiseite und wandte sich nach rechts, nickte Kochmüller zu, der indigniert zurückstarrte.
Was es denn da zu nicken gebe, erkundigte sich HKM, war aber offenbar seinen eigenen Gedanken noch so wenig entflohen, daß er einen Zusammenhang zwischen des Verfassers Kronenzeitungweglegung und seiner am armen Kellner ausgelassenen Pressekritik nicht erkannte. Dennoch stutzte HKM nun.
Ob man sich kenne, wollte er wissen, und der Verfasser fragte im Gegenzuge, wer mit „man“ gemeint sei. „Na ja, Sie und ich“, so Kochmüller wörtlich.
„Nicht, daß ich wüßte“ wäre geschwindelt, gab der Verfasser zurück. Nein, er (der Verfasser) kenne ihn (Horst Kochmüller) schon durchaus und seit Jahrzehnten. Alle seine (HKMs) Werke, behaupte er, habe er gelesen, auch den Zauberberg und den Doktor Faustus; im Augenblick, so der Verfasser, kämpfe er sich durch den Mann ohne Eigenschaften.
Kochmüller entspannte sich zusehends. Es war ihm anzumerken, wie er an Bedeutung wuchs, während er den Schwelbrand im Aschenbecher mit seiner Weinschorle löschte. Sodann fragte er den Verfasser, ob er nicht an seinen Tisch kommen wolle, man habe sich offenbar einiges zu erzählen.
Der Verfasser empfand dies als Einladung und nahm dem großen HKM gegenüber an seinem Tische Platz, vermutlich mit dem Gesichtsausdruck eines Mannes, der es geschafft hat.


© 2016 Christian Oelemann