Nur überleben...

„Maikäfer flieg“ von Mirjam Unger

von Renate Wagner

Maikäfer flieg
(Österreich / 2016)

Regie: Mirjam Unger
Mit: Zita Gaier, Ursula Strauss, Gerald Votava, Konstantin Khabensky,
Bettina Mittendorfer, Krista Stadler, Heinz Marecek u.a.
 
Auch als Verfasserin von Kinderbüchern hat man Christine Nöstlinger immer als hantig und aufmüpfig erlebt. Diese Eigenschaften zeichneten sie schon als Kind aus. 1936 geboren, war sie bei Kriegsende 10 Jahre alt und kannte faktisch nichts als den Krieg als Alltag. Jahrzehnte später, 1973, schrieb sie unter dem ausführlichen Titel „Maikäfer, flieg! Mein Vater, das Kriegsende, Cohn und ich“ ihre Erinnerungen an diese Zeit nieder.
 
Es geht vor allem um das letzte Kriegsjahr, als ihr und ihrer Familie nichts erspart blieb – aus dem zerbombten Wien in die Außenbezirke, in die Herrschaftsvilla. Und hier, wo man (quasi als „Personal“) Unterschlupf gefunden hatte, sahen sich Christl und ihre Familie hautnah mit der Einquartierung der Russen konfrontiert.
Die zehnjährige Christl, die gar niemand anderer sein kann als die „wilde“ Nöstlinger, die man aus so vielen Büchern und harschen Interviews kennt, hat es sich immer mit allen verdorben, auch mit der eigenen Familie. Sie war die einzige, die vom Kommen der Russen begeistert war (haben sie doch die Nazis weggefegt), die einzige, die in echter Neugierde mit ihnen „fraternisierte“ – vor allem mit Cohn, dem jüdischen Koch, der früher einmal Schneider war und nun von den Russen wie ein Stück Dreck behandelt wird. Sie hat von der schlichten Weisheit des geduckten Mannes viel mitbekommen… bis zum besonders tragischen Ende, das möglicherweise sie selbst verursacht hat. Denn sie brachte ihn dazu, sie in die Stadt zu den Großeltern zu fahren (was zu einer bedrückenden Begegnung wird) – und möglicherweise hat ihn das das Leben gekostet. Was Genaues weiß man nicht.
 
Die österreichische Regisseurin Miriam Unger, die bisher in Spielfilmlänge nur mit dem einen Streifen „Ternitz, Tennessee“ hervorgetreten ist (und das war auch schon im Jahr 2000, ist also länger her), hat nun mit der Verfilmung dieses Buchs eine bemerkenswerte Leistung gesetzt. Einerseits wird der Krieg, wie er die „ganz normalen“ Menschen trifft, und hier noch besonders die Kinder, beklemmend dicht auf die Leinwand gebracht – mit Schutt, peinigendem Hunger, steter Existenzangst (was die Mutter und die Großeltern nicht daran hindert, vollmundig auf „den Hitler“ zu schimpfen, was auch gegen Kriegsende nicht ganz ungefährlich war), und schließlich panischer Sorge um die Angehörigen – in diesem Fall Christls Vater, der gerade noch rechtzeitig desertierte, um den Endkampf zu entgehen – und quasi den Russen in die Arme zu laufen.
Wie sich die Bevölkerung mit diesen Besatzern teils grimmig, teils opportunistisch arrangiert, ist ein Teil des Geschehens. Waren sie doch gänzlich der Willkür dieser Soldaten ausgeliefert – eine Bevölkerung, die nach Meinung der Russen alles Böse verdient hatte, angesichts dessen, wie deutsche Soldaten sich im Krieg benommen hätten. Frauen wie Christls Mutter waren stets der Vergewaltigung gewärtig, während sich Frau von Braun, die adelige Hausherrin, sofort mit dem ranghöchsten russischen Offizier einläßt. Ihr kleiner, strammer Hitlerjungen-Sohn kann nicht begreifen, daß das privilegierte Leben der Nazi-Kinder vorbei ist.
Inmitten von all dem steht Chrstl, die alles so genau beobachtet und so vieles erkennt, das die erwachsene Christine Nöstlinger später in ihrem Buch wunderbar eingefangen hat. Und sie alle kommen nun in optimalen Besetzungen auf die Leinwand.
Zita Gaier als die gescheite, immer widerspenstige, immer neugierige Christl, ein Kind, an dem die Mutter (eine wunderbare Leistung von Ursula Strauss, ganz weg vom Fernseh-Klischee) nur verzweifeln kann. Gerald Votava als der Vater, der sich durchschlängelt, und Konstantin Khabensky als der Jude Cohn, der nur überleben will (was ihm wohl nicht gelingt), Krista Stadler und Heinz Marecek als die verschreckten, verwirrten Großeltern und viele andere mehr.
Das ist eine dichte, erschreckende, traurige Geschichte. Und alle, die nie einen Krieg erleiden mußten, können angesichts dessen, was man hier mit ansieht, nur aus ganzem Herzen dankbar sein für die Gnade der späten Geburt.
 
 
Renate Wagner