Oper Bonn: Korngold in Perfektion

"Die tote Stadt" in der Inszenierung von Klaus Weise setzt Maßstäbe und bekommt Referenzwert

von Peter Bilsing

Schwelgerische Klänge im süßen Rausch der Phantasie

Korngolds „Tote Stadt“ in Bonn vom Intendanten Klaus Weise perfekt inszeniert und musikalisch berauschend realisiert

Musikalische Leitung: Erich Wächter  -  Inszenierung: Klaus Weise  Bühne: Martin Kukulies  - Kostüme: Fred Fenner  -  Chorleitung: Sibylle Wagner  -  Leitung des Kinderchores: Ekaterina Klewitz  -  Choreographie: Karel Vanek Licht: Thomas Roscher  -  Video: Jan Thiel, Andree Verleger - Fotos: Thilo Beu

Paul: Janez Lotric - Marietta/Marie: Morenike Fadayomi - Frank/Fritz: Aris Argiris - Brigitta, Haushälterin: Vera Baniewicz - Juliette, Tänzerin: Julia Kamenik - Lucienne, Tänzerin: Marianne Freiburg - Victorin, Regisseur/Stimme des Gaston: Mark Rosenthal - Graf Albert: Johannes Mertes - Gaston, Tänzer: Karel Vanek  -  Theater Bonn  -  Beethoven Orchester Bonn

Korngolds Oper - ein Meisterwerk

Erich Wolfgang Korngolds Meisterwerk „Die tote Stadt“ gehört für mich zu den schönsten Opern, die je komponiert wurden. Nach dem Sensationserfolg der Uraufführung 1920 befand sich die Oper in den folgenden Jahren im Repertoire von über 80 Häusern. Das Werk zeigt den jungen Korngold mit den kühnsten Höhenflügen seiner Erfindungskraft. Korngold beweist sich als wahrer Klangmagier. Das Orchester leuchtet wie ein Feuerwerk in allen Schattierungen und Farben; es erhebt sich mit der Grandezza goldstrahlender Pracht aus der morbiden Grundstimmung des Stücks, um dann wieder in eine teils säkulare Traumhaftigkeit zurückzufallen. Und immer wieder dieses pure Baden in puccinihaften Klängen, allgegenwärtig durchsetzt mit Applikationen und Ornamenten, die an Mahler, Wagner und Strauss erinnern und dies zu einem einzigartigen Oeuvre zusammenfügen. Und wenn man in diese Oper einmal gründlich reingehört hat, kann durchaus Korngolds Sohn George zugestimmt werden, der die Musik seines Vaters einmal „moderner als Mahler und Strauss“ titulierte.

Von Wächter bis ins Detail ausgefeilt

Wer die wunderbare, wirklich bis ins kleinste Detail absolut ausgefeilte musikalische Interpretation Erich Wächters mit dem grandios aufspielenden Beethoven Orchester Bonn bei der aktuellen


Foto © Oper Bonn - Thilo Beu
Premiere zur „Toten Stadt“ erlebt hat, muß dem unbedingt zustimmen. Ich habe dieses Orchester in den letzten Jahren selten so perfekt und klangschön, so feinsinnig und betörend wahrgenommen. Dirigent Erich Wächter muß sich diesen Korngold zur Herzensangelegenheit gemacht haben, denn die Musiker reüssierten brillant in den enormen spieltechnischen Schwierigkeiten der Riesen-Partitur. Was war das für ein Schwelgen im großen Orchestersatz! Daneben das geradezu expressive Ausspielen aller Dramatik und Schärfe - traumverlorene Perfektion in Lyrik und Extase und dennoch genügend Transparenz, um auch die Harfenläufe jederzeit noch hörbar werden zu lassen. Traumhafter Orchesterklang!

Hier konnte das Orchester selbst meiner persönlichen Referenzaufnahme (gibt´s mittlerweile von WALHALL für ein paar Euro) unter Fritz Lehmann mit dem Orchester des Bayrischen Rundfunks von 1952 Paroli bieten - übrigens hat nie mehr jemand das „Glück, das mir verblieb“ schöner gesungen als Karl Friedrich ebenda. Stereoverwöhnten Ohren kann auch das Leinsdorf-Album von 1975 empfohlen werden – nebenbei noch René Kollos vielleicht wirklich einziger ganz großer Rollenerfolg im schweren Fach neben den frühen Lohengrins. Die Sunnegardh-Geschichte mit Segerstam, Stockholm 1996, ist nur bedingt empfehlenswert. Über die Salzburger DVD mit Denoke & Kerl in den nächsten Tagen eine DVD-Kritik an gleicher Stelle.

Korngold biographisch

Kleiner Schwenk zurück zu Korngold: Der 1897 in Brünn geborenen Erich Wolfgang Korngold galt schon früh als Wunderkind und entwickelte sich unter dem Protektorat Mahlers und Zemlinskys zu einem der erfolgreichsten Komponisten seiner Zeit. Leider nur fünf Opern zieren das Werkverzeichnis: „Violanta / Der Ring des Polykrates“ (1916), „Die tote Stadt“ (1920), „Das Wunder der Heliane“ (1927) und „Die Kathrin“ (1937). Korngold emigrierte 1934 nach Hollywood, wo er eine zweite Kariere mit dem Schreiben von Filmmusik begann. Der Anschluß Österreichs an das Dritte Reich und Hitlers „Entartete-Musik“-Kampagne verhinderte seine Rückkehr nach Wien. Allein 18 erfolgreiche Filmmusiken schuf er bis 1947, sowohl für „Anthony Adverse“ (1937), als auch für „The Adventures of Robin Hood“ (1938) erhielt er je einen Oscar. Er verhalf der amerikanischen Filmmusik zu neuen großsinfonischen Dimensionen und einem bisher unbekannten Qualitätsniveau.

Nach dem Krieg gab es leider kein Comeback; Korngolds Karriere als Hollywood-Filmkomponist schadete ihm bei seiner Rückkehr ins alte Europa doch sehr. Von den Deutschen als „entartet“ gebrandmarkt und von den konservativen Wiener Kreisen mit Schönberg assoziiert war die Nachfrage gleich Null. Darüberhinaus hatte sich das musikalische Klima grundlegend gewandelt. Korngolds spätromantische Harmonie und Melodie waren der Avantgarde verdächtig. Man hatte sich vom Schönklang in der Musik gerade verabschiedet. 1955 wagte man sich in München noch einmal an die „Tote Stadt“. Trotz Publikumsbegeisterung verschwand aber die grandiose Oper aufgrund mieser Kritiken bald vom Spielplan. Korngold starb zwei Jahre später 1957 im Alter von nur 60 Jahren.

Die Wiederentdeckung des Genies

1983 läutete Götz Friedrich mit seiner bahnbrechenden Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin dankenswerterweise eine Korngold-Renaissance ein. So langsam wurde das Werk wieder in den Spielplänen heimisch. Man scheiterte aber in den meisten Produktionen, die ich in den letzten Jahrzehnten gesehen habe, primär am gigantischen Sängeranspruch bei den Hauptrollen, denn diese erfordern stimmliche Schwerstarbeit im Wagnerformat. Leider sind die Lehmanns, Jeritzas und Taubers heuer rar gesät. Und selbst die ganz großen Häuser produzieren oft nur Mangelhaftes.


Foto © Oper Bonn - Thilo Beu
Daß man nun in Bonn (einem mittleren Haus!) eine praktisch schallplattenreife Besetzung aufbieten konnte, grenzt an ein Wunder. Gaststar Janez Lotric (Paul) stemmte die Partie mit unglaublich ehrlichem Einsatz und Verve, ging keiner noch so großen Schwierigkeit aus dem Weg und fand nicht nur im Finale zur nötigen Lyrik. Eine respektable Riesenleistung, die vom Publikum auch zu  Recht bravierend gewürdigt wurde. Daß Morenike Fadayomi (Marietta/Marie) den Riesensprung ins schwere Fach geschafft hat, bewies sie mit einer ungeheueren Sanges-Leistung. Ist ihre Höhenlage noch etwas diffizil, so entfaltet sich die Stimme doch wunderbar in den großen Bögen der mittleren und tiefen Lage und im Piano. Die darstellerische Gestaltung ist überragend; Riesenjubel beim Publikum. Und als dritter im Bunde muß Aris Argiris (Frank) benannt werden - Erinnerungen an  Benno Kusche, der vor mehr als einem halben Jahrhundert diese Partie auch so kultiviert gesungen hat, werden wach. Ein Sänger mit großer Zukunft. Chor (Sibylle Wagner) und Kinderchor (Ekaterina Klewitz) waren bestens ein- und diszipliniert aufgestellt. Alle brachten sich in die Gesamtkonzeption perfekt ein.

Im Unterschied zum Roman von G. Rodenbach, wo Paul Marietta tatsächlich erdrosselt, ist alles in Korngolds Oper nur ein Tag-Traum mit scheinbarem Happy End. Was allerdings die meisten Regisseure nicht davon abhält, Paul dennoch von eigener Hand sterben zu lassen. Wer genau in die Musik reinhört, könnte das aus der finalen Harmonik durchaus schließen.
Der Bonner Regisseur und Hausherr Klaus Weise löst das Problem auf eigene Art und Weise. Ohne zuviel zu verraten (das wäre unredlich und würde ein großes Spannungsmoment dieser fabelhaften Inszenierung für kommende Besucher zerstören), kann man aber seinem gefundenen brillanten Schluß, der sich gänzlich im Sinne der Musik und des Textes bewegt, durchaus zustimmen. Ein bewegt bewegendes Ende der Oper.

Die Inszenierung - ein Gesamtkunstwerk

Insgesamt eine Inszenierung, die weder durch Verfremdungen, Modernisierungen oder Mätzchen


Foto © Oper Bonn - Thilo Beu
ablenkt, sondern sich stringent dem Kunstwerk unterordnet. Kein düster muffiges Milieu; im Gegenteil, eine weit offene Bühne mit Tiefe, die den Wechsel von Realität und Traum, Vision und Spiel geschickt durch Projektionsflächen begrenzt und begleitet. Perfektes Musiktheater auf allerhöchstem Niveau, Weises bisher beste und überzeugendste Opern-Inszenierung. Martin Kukulies (Bühne) hat ein mehr als raffiniertes Bühnenambiente geschaffen, welches eben jenem „Traum der Phantasie“ nicht nur visionär in Projektionen, sondern auch realiter in geheimnisvoll verschachtelten Bühnenräumen Raum sowie Bild und Gestalt gibt.
Karel Vaneks Bewegungschoreografie und die stimmungsvolle Lichtregie von Thomas Roscher in Verbindung mit sensiblen Videoinstallationen von Jan Thiel und Andree Verleger zaubern einen Rahmen, der so modern, wie zeitlos und so beeindruckend, wie überzeugend werktreu daherkommt.
Die Kostüme von Fred Fenner sind perfekt der jeweiligen Situationen und Stimmung angepaßt. Kongenial gewählte Verwandlungen zeichnen satiniertes Brokat der Stummfilmära bis hin zur Harlekin/Pierrot-Stilisierung filmischer Reminiszenzen die an Barraults Filmklassiker „Kinder des Olymp“ erinnern. Frappierend stellenweise die Choristen, wenn sich in der Prozessionsszene ihre Gesichter förmlich zu Fratzen hinter schablonenhaft bekreuzigten Lichtmasken verzerren. Im Wechsel von Marie zu Marietta, von der ehemals Geliebten zur Publikumstänzerin und zurück spiegelt auch in den Kostümen eine Art Ying-Yang-Prinzip, jenen Wechsel von der Vergötterten zur Hure. Hier wäre ein Kostüm-Oscar fällig. Bravo!
Seit Götz Friedrich die mit Abstand beste, einfühlsamste und gelungenste „Tote Stadt“-Inszenierung der letzten 30 Jahre. Abermals: „Bravo!“

Eine brillante Operninszenierung, ein komplexes Gesamtkunstwerk, das mit soviel Herzblut und Engagement, Einsatz und Phantasie, sowie grandioser und werktragender musikalischer Qualität daherkommt, sollte nicht nur Korngold-Fans europaweit anziehen, sondern wird hoffentlich auch das lokale Publikum überzeugen. In kurzen Worten: Diese Produktion hat Weltklasseformat. Das gab es schon lange nicht mehr in Bonn!


Weitere Informationen unter: www.theater-bonn.de