Dunkel war`s, der Mond schien helle…

Ernst Peter Fischer – „Durch die Nacht. Eine Naturgeschichte der Dunkelheit“

von Johannes Vesper

Dunkel war`s, der Mond schien helle…

Die umfassende Geschichte der Dunkelheit beginnt weit vor Adam und Eva, nämlich mit den Worten des lieben Gottes: „Es werde Licht“. Seitdem liegt die Erde nicht mehr im tiefen Dunkel, wird von Tag und Nacht, von Licht und Schatten bestimmt und erst seit dem 16. Jahrhundert, seit Kopernikus, wissen wir, daß die Nacht nichts anderes ist als der Erdschatten auf der der Sonne abgewandten Erdhälfte. Schon bei unserem Trabanten, dem Mond, liegen die Verhältnisse ganz anders. Seine komplexen Drehungen um die Erde und um sich selbst bedingen Ebbe und Flut und, daß wir von hier aus immer nur die eine Seite des Mondes sehen und seine Rückseite erst mit Hilfe von Satelliten zu Gesicht bekamen. Das wußte natürlich auch schon Matthias Claudius, als er dichtete: „Er ist nur halb zu sehen und ist doch rund und schön“. Beim Blick an den schwarzen Himmel nachts werden neben unter hinter dem Mond bei fehlender Lichtverschmutzung zahllose Sterne unterschiedlicher Helligkeit sichtbar. Über den gestirnten Himmel über uns haben nicht nur Physiker, nicht nur Philosophen wie Kant und Blumenberg sondern auch Literaten wie Edgar Allan Poe nachgedacht, der die Einheit von Raum und Zeit schon weit vor Einstein geahnt hat. Denn wir sehen die Sterne am Himmel so wie sie ausgesehen haben, als das Licht von ihnen lossauste. Es kommt aber erst jetzt hier an. „Jeder Blick in den Raum ist also auch ein Blick in die Zeit“. Und wenn die Schwerkraft der sichtbaren Sterne zu Erklärung ihrer Bahnen nicht ausreicht, dann fordern die Astronomen zur Erklärung nicht sichtbare Dunkelmaterie im All, welches bekannterweise dynamisch auseinanderfliegt. Beunruhigend und Fragen über Fragen.
 
Aber nicht nur Fragen zur Schwärze von Kosmos und Weltall sind in diesem Buch von Interesse. Wie reagiert denn der Mensch auf den Wechsel von Hell/Dunkel? Wie kommt es, daß die Lerchen unter den Menschen früh aufstehen, während die Eulen als Langschläfer erst später frühstücken? Was passiert, wenn Eulen mit Lerchen Sex haben wollen und wann findet dieser bevorzugt statt? Hormon- und Hirnforschung haben dazu allemal interessante Antworten.
Seit ca. einer Million Jahren nutzt der Mensch das Licht und Wärme spendende Feuer. Erst seit dem 2. Jahrhundert u.Z. wird die Kerze genutzt, wie der Physiker Faraday in einem Weihnachtsvortrag 1860 vortrug. Bis in das 18 Jahrhundert gab es keine Straßenbeleuchtung und die nächtliche Angst wurde von Nachtwächtern vertrieben. Mit zunehmendem Licht auf Straßen, in Palästen und Wohnhäusern entwickelte sich zum Unbehagen der Obrigkeit auch ein Nachtleben, welches durch Sperrstunden begrenzt werden sollte. Die Geschichte der Dunkelheit ist auch kulturhistorisch von Interesse.
 
Schlaf, Schlaflosigkeit finden vorwiegend im Dunkeln statt. Wachen und Schlafen sind schon bei den alten Indern in ihren Upanishaden und bei dem Erwecker Buddha im 6. Jahrhundert vor u.Z. wichtige Themen. Erst 1862 begründete der Physiologe E.O.H. Kohlschütter die wissenschaftliche Schlafforschung. Leider können nur Vögel und Delphine mit einer Hirnhälfte schlafen. Ihnen reicht zeitweise das halbe Hirn für ihre alltäglichen Verrichtungen.  Dem Menschen ist ein Halbseitenschlaf nicht vergönnt. Schlafen Fliegen? Was passiert, wenn wir träumen? Sind Träume physiologische Restaktivitäten schlafender Neurone oder spiegeln Träume unsere erlebte Wirklichkeit wider? Was ist die Nachtseite der Wissenschaft? Monod und Keküle erträumten Repressorgen und Molekülstruktur des Benzols. E.P. Fischer entwickelt eine kurze Geschichte der Erkenntnistheorie von Popper bis Pauli, nach dem die wissenschaftliche Methode darin besteht „ eine Sache immer wieder vorzunehmen, über den Gegenstand nachzudenken… neues empirisches Material zu sammeln … Auf diese Weise wird das Unbewußte durch das Bewußtsein angekurbelt, und, wenn überhaupt, kann so etwas dabei herauskommen“. Interessante Überlegungen zur Psychologie der Erkenntnis. Schließlich wird das Böse, die Nachtseite von Wissenschaft und Mensch (von Sarastro in der Zauberflöte bis zu Eugen Roth mit seinem kurzen Gedicht zur Atombombe („Wer ist der Böseste der Bösen?“) und Fritz Haber, dem Erfinder des Giftgases im 1. Weltkrieg) abgehandelt. Hochaktuell auch des Autors Überlegungen zu Stellung und Ansehen des Wissenschaftlers in der Gesellschaft.

Kenntnisreich und elegant, gespickt mit literarischen und philosophischen Querverweisen  präsentiert Ernst Peter Fischer die verschiedenen Aspekte von Nacht und Dunkelheit. Der Leser spürt, mit welcher Leidenschaft große Wissenschaftler die Fragen der Welt angehen, und liest immer weiter. Ein Buch der anderen Bildung. Dies ist Fischers 60. Buch zu Naturwissenschaft und Bildung. „Das Leben lohnt sich durch die Nacht“ laut der Schlußsatz - und die Lektüre allemal.
 
Ernst Peter Fischer – „Durch die Nacht. Eine Naturgeschichte der Dunkelheit“
© 2015 Siedler-Verlag, 240 Seiten, Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 240 Seiten, 13 s/w Abbildungen - ISBN: 978-3-88680-838-0
€ 22,99 [D] | € 23,70 [A] | CHF 30,90 * 13 s/w Abbildungen

Weitere Informationen: www.randomhouse.de/siedler/