„Alte Musik bei Kerzenschein“

mit Franco Fagioli und dem Venice Baroque Orchestra in Essen

von Bea Lange

Franco Fagioli - Foto © Julian Laidig


„Alte Musik bei Kerzenschein“

mit Franco Fagioli
und dem Venice Baroque Orchestra unter Andrea Marcon
 
am 4. Oktober 2015 im Alfred-Krupp-Saal der Essener Philharmonie

Unverhofftes Glück für alle Fagioli-Fans in Deutschland; durch die Absage von Bejun Mehta (unvergessen seine großartige Leistung im „Belshazzar“) kam der argentinische Countertenor Franco Fagioli nach unzähligen weltweiten Gastspielen und einem wahren Triumphzug als Cesare in „Catone in Utica“ dieses Jahr nochmal ins Land, namentlich in die Essener Philharmonie zur „Alten Musik bei Kerzenschein“. Als „Ersatz“ (was für ein Unwort in diesem Zusammenhang) für Bejun Mehta begeisterte er sein Publikum mit der ihm eigenen Liebenswürdigkeit und einer Sangeskunst, die in seinem Fach derzeit unübertreffbar ist. Das ausgesprochen schöne Timbre in allen Lagen, die ausgereifte Technik und das feine Gespür für Phrasierungen, Dynamik und Stimmdramaturgie sind es nicht allein, die das Phänomen Fagioli ausmachen; in allem, was er singt, schwingt ein göttlicher Funke mit, der inspiriert und die Schönheit der Musik in ihrer Vollkommenheit auslotet.
 
Das „ Venice Baroque Orchestra“ unter Andrea Marcon war Franco Fagioli ein verläßlicher Begleiter, die Musiker (Streicher und eine kleine Holzbesetzung sowie der Dirigent am Cembalo) konnten aber auch allein punkten, so in der dreisätzigen Sinfonia C-Dur aus einer Serenade von Vivaldi mit weichen Streicherbögen und eleganten Pizzicati oder der betörend klingenden Holzgruppe bei Francesco Maria Veracini‘s „Ouvertüre Nr. 6 g-Moll für zwei Oboen, Fagott und Streicher“. Nach der Pause dann Händel‘s „Concerto grosso B-Dur, op. 3“ voller Spielfreude und das besonders heftig beklatschte Variations-„Concerto grosso Nr. 12 d-Moll“ von Francesco Geminiani nach einer Sonate von Corelli.
Passend zum feierlichen Rahmen durch den abgedunkelten Saal und im Halbkreis plazierten Kerzen auf der Bühne, begann Franco Fagioli relativ verhalten mit Vivaldis „Cessate, omai cessate“ und „Mentre dormi, amor fomenti“, virtous, fragil und mit kontemplativen Pianissimopassagen. Vor der Pause wird’s furios in „Nel profondo cieco mondo“ aus Orlando Furioso. Im zweiten Teil zwei Arien aus Händels „Ariodante“: das sehnsuchtsvoll erwartete „Scherza Infida“ und ein strahlendes „Dopo notte“ zum Finale. Leider nahm im „Scherza Infida“ die ansonsten angenehme Geschmeidigkeit des Orchesters einiges von der existenziellen Wirkung und dem schmerzvollen (An)klagegesang. Maßstabbildend bleiben daher die schroffen, schicksalsschweren Saitenstriche einer Aufführung von 2014 in Ambronay mit der Academia Montis Regalis und davon inspiriert eine zeit- und raumgreifende Interpretation Fagioli's in Erinnerung, die den Zuhörer mit-leidend und fassungslos zurückließ. 
 
Beim offiziellen Schlußpunkt „Dopo notte“ schließlich konnte Fagioli gewohnt virtous  überbordend aufdrehen, jubelnder Applaus für ein wunderschönes Konzert in Essen an diesem frühen, sonnigen Herbstabend.
Eine Zugabe („Crude furie“ aus Serse) rundete den Abend ab, erstaunlich viele freie Plätze im hinteren Zuschauerbereich inspirierten wohl nicht zu weiterem und stimmten die Rezensentin angesichts der hochkarätigen Künstlerpersönlichkeiten etwas traurig.