Porträt eines großen Humoristen

Antje Neuner-Warthorst - Walter Trier - Eine Bilderbuch-Karriere"

von Joachim Klinger

Walter Trier

Die „Bilderbuch-Karriere“
eines großen Humoristen
 
Bei nicolai, dem „Hauptstadtverlag“ ist im vergangenen Jahr eine umfassende Darstellung des Lebens und Werks von Walter Trier (1890-1951) erschienen. Verfasserin ist die Kunsthistorikerin Antje Neuner-Warthorst. Alle diejenigen, denen Walter Trier als Buch-Illustrator, Karikaturist, Plakatkünstler oder in anderer Gestalt begegnet ist, werden sich freuen, mit diesem Buch von rund 300 Seiten dem großen Humoristen näher zu kommen.
Die Autorin hat umfangreiches Material zusammengetragen, eine immense Stoff-Fülle bewältigt und klar geordnet. Sie hat manche Aspekte der künstlerischen Arbeit beleuchtet, die bisher nicht berücksichtigt wurden oder zu kurz kamen. Im Blick auf die von der „heiteren Muse“ geprägten Bereiche der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts ist Neues zu Tage gefördert worden. Das herausragende Verdienst der Autorin und des Verlages besteht aber darin, überhaupt einen Künstler in der Gänze seiner facettenreichen Persönlichkeit späte Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Denn Walter Trier, der aus Prag stammte, seinen Arbeitsschwerpunkt in Berlin hatte, 1936 nach England emigrierte und 1951 in Kanada starb, hat Anspruch auf die ihm gebührende Anerkennung als einer unserer großen Humoristen.

Natürlich kennt man Walter Trier in Deutschland, und es gibt nicht wenige Liebhaber seiner Bilder. Aber häufig gilt er doch primär als „Kästners Illustrator“, als habe er im Fahrwasser eines
bedeutenden Schriftstellers Karriere gemacht. Mit Recht weist die Verfasserin darauf hin, daß Trier im Jahr 1929, als er Erich Kästner kennenlernte, bereits in Berlin hochgeschätzt war und zur Prominenz zählte, während der neun Jahre jüngere promovierte Germanist seine ersten „Gehversuche“ unternahm. Die Arbeit an dem Buch „Emil und die Detektive“ brachte sie zusammen, wobei anzumerken ist, daß Trier bereits eine Reihe von Büchern gestaltet hatte. Zu nennen wären etwa „Der Wortbruch“ von Leo Slezak (Rohwolt Verlag Berlin), die Märchen von Else Hoffmann (Abel & Müller, Leipzig), „Artisten“ zusammen mit Fred A. Colman (Paul-Aretz-Verlag, Dresden) oder die Fridolin-Kinderbücher. Immerhin war er auch Mitglied der Berliner Sezession und Mitarbeiter bei den Zeitschriften „Die Dame“, „Lustige Blätter“ und „Uhu“.
Wir wissen, daß sich die Zusammenarbeit Kästner/Trier sehr fruchtbar entwickelte und noch 1949 zu dem Buch „Die Konferenz der Tiere“ (Europa Verlag, Zürich) führte. Das Gespann Kästner/Trier hat Millionen Kinderherzen mit Werken wie „Pünktchen und Anton“, „Der 35. Mai“, „Das fliegende Klassenzimmer“, „Emil und die drei Zwillinge“ erobert. Das kann man nicht hoch genug schätzen!

Es ist der Verfasserin daran gelegen, die Vielfalt der Begabungen von Walter Trier, die Vielseitigkeit seiner Interessen und kreativen Ausdrucksmöglichkeiten deutlich zu machen. So lernen wir ihn als Mitwirkenden im Kabarett, als Bühnen- und Kostümbildner beim Theater, als Reklame- und Gebrauchsgrafiker, als Plakatkünstler und Trickfilmzeichner kennen (10 als „Trickfilm“ bezeichnete Streifen sind bekannt, aber – leider! – nicht erhalten). Privat wird er nicht nur vorgestellt als Ehemann und Vater, sondern auch als aktiver Sportler (Lauftraining, „Goldenes Sportabzeichen“ für Walter Trier, Frau und Tochter!); er war zudem ein Radio-Fan – und das in der Anfangsphase dieses Mediums.
Die Verfasserin bedauert, daß es nur wenige Unterlagen und kaum Quellen gibt, die über die weitläufige Familie des Künstlers, seine Freundschaften und Bekanntschaften Auskunft geben. Immerhin kann sie u.a. die enge Beziehung zu dem Karikaturisten Paul Simmel (1887-1933) – in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts ein Star! – belegen. Den Kollegen Erich Ohser (e.o. plauen, „Vater und Sohn“), der Gedichtbände von Erich Kästner mit Bravour illustrierte, hat er wohl nicht näher gekannt. Dessen grafische Darstellungsweise scheint mir damals vergleichsweise „moderner“ gewesen zu sein.

Daß Walter Trier manchem als Vorbild galt, berichtet die Verfasserin unter Berufung auf einen „vielbeschäftigten Berliner Karikaturisten“ (S. 136). So habe Horst von Möllendorff  ohne jede Vorwarnung“ zur Zeichenfeder gegriffen, und auch Hans Kossatz sei von Triers Zeichenkunst motiviert worden. Immerhin hat uns Möllendorff die Bilderfolge „Fäustchen“ geschenkt, und Kossatz hat uns mit seinem „Dackel Willi“ eine bleibende Freude gemacht. Selbst der etwas von oben herab behandelte Ferdinand Barlog (S. 231) schaffte es in der harten Kriegszeit, uns mit den „Schreckensteinern“ zu erheitern.
Besonders wichtig für das Verständnis der grafischen Kunst Triers scheint mir zu sein, was die Verfasserin zu seiner Sammelleidenschaft von altem Spielzeug und seine Vorliebe für Kasperle-Puppen und groteskes Schnitzwerk der Volkskunst ausführt. Sie bezeichnet das Spielzeug als „Quelle künstlerischer Inspiration“ (S. 97) und hat bei Walter Trier damit den Nagel auf den Kopf getroffen. Übrigens haben nicht nur die von der Verfasserin genannten Künstler wie Feininger und Klee Spielzeug gesammelt (S. 107), sondern auch Kurt Kusenberg und Tomi Ungerer. Letzterem verdanken wir ein Spielzeug-Museum in Strasbourg.
Wer sein gesammeltes Spielzeug auf der Flucht mitnimmt und bei Bombenangriffen (London!) darum mehr besorgt ist als um andere Besitztümer, der muß hier wohl ein inniges Verhältnis begründet haben. Triers Spielzeug-Buch beweist es. Das 1922 erschienene Buch verbindet den sachkundigen Text von Oskar Seyffert, dem Gründer des Landesmuseums für Sächsische Volkskunst in Dresden, mit 40 Farbtafeln Walter Triers. Erich Kästner schrieb dazu: „Nicht nur Walter Triers Meisterwerk, sondern ein Meisterwerk überhaupt.“ (S. 99)
Walter Trier hat mit seiner Liebe zum Spielzeug die Tür zur Welt des Kindes offen gehalten. Das erklärt den Zauber, der von vielen seiner Bilder ausstrahlt. Auffallend ist bei ihm der einfache, aber sichere Strich, die leuchtende Farbgebung und die Beherrschung der Gesamtkonzeption. Selbst Bilder, die übervoll erscheinen, sind so klar komponiert, daß jedes Detail zur Geltung gelangt. Dazu kommt, daß der Eindruck einer liebevollen Zuwendung zu Lebewesen und Dingen vermittelt wird.


Die Sprache des Herzens wird international verstanden, und das macht die freudige Aufnahme seiner Kunst im Ausland, so in England und in Kanada, verständlich.
In der Kunstkritik wird bei der Beurteilung eines Künstlers und seines Werks immer nach künstlerischen Leitbildern und Verwandtschaften gesucht. Man möchte eine klare Einordnung in die Kunstgeschichte erreichen. Mir scheint die Bezugnahme auf Carl Spitzweg recht oberflächlich zu sein, und auch die Verfasserin mag sich nicht recht für sie zu erwärmen. (S. 139) Die von den beiden Künstlern gestalteten Welten berühren sich nur hier und da.
Jeder Künstler orientiert sich – mindestens in jüngeren Jahren – an anderen Künstlern und sieht in ihnen Lehrer oder Vorbilder, aber er muß sich zur Eigenständigkeit durchringen und seinen Stil entwickeln. Diese Originalität ist bei Walter Trier eindeutig festzustellen.
Natürlich sehen wir ihn in der Nachfolge großer Zeichner wie Wilhelm Busch und Heinrich Zille. Aber wir können auch in der Farbigkeit seiner Werke die magische Gestaltungskraft von Franz Marc (darauf verweist die Verfasserin, S. 140) oder Marc Chagall erkennen. Im strukturellen Aufbau wird hier und da die Bildarchitektur von George Grosz sichtbar.
Es ist gut, daß die Verfasserin hier Fenster aufgestoßen hat (Bild S. 139). So kann man Einflüsse Triers auf Gegenwartskünstler erschließen. Etwa auf Tomi Ungerer, seine sparsame Formensprache einerseits und die starkfarbigen Hintergründe andererseits. Auch Josef Hegenbarth mag bei Trier den Einsatz von Farbe in der Grafik (vgl. seine Märchen-Illustrationen!) „gelernt“ haben. Der „Fromme Neujahreswunsch“ Triers (S. 135) legt das nahe. Schließlich möchte ich wetten, daß J.J. Sempé die Werke Triers mit Gewinn studiert hat.


Walter Trier hat frühzeitig erkannt, welche schrecklichen Gefahren mit der „Machtübernahme“ durch die Nazis 1933 auf ihn als Juden, aber auch auf Deutschland und andere Länder zukommen würden. Er hat sich und seine Familie nach England retten können, wo er rasch Fuß faßte. Er gestaltete viele Titelbilder für die beliebte Zeitschrift „Lilliput“, Buchumschläge u.a.m. Aber er bezog auch klare Position zum Nazi-Regime und fand sich bald in der Schar politischer Karikaturisten wieder, die von England aus ihre scharfen Pfeile in Richtung Deutschland schossen.


© Erich Holthausen, Bergisch-Gladbach

Das 1971 im Eulenspiegel Verlag Berlin, also in der DDR erschienene schmale Buch über Walter Trier (herausgegeben von Lothar Lang) setzt auf die antifaschistische Kampagne einen starken Akzent und würdigt Triers Einsatz. Auch die Verfasserin geht auf diese Tätigkeit Triers ein („Nazi-Karikaturen in der Zeitung“, S. 233 ff.), sie vermag aber in ihr nicht eine neue künstlerische Entwicklung zu entdecken. Diese Sicht teile ich. Offen gesagt ist mir der beißwütige Brite David Low mit seinen gekonnten Attacken gegen Hitler und seine Paladine lieber.
Ein gehaltvolles Buch hat Frau Neuner-Warthorst vorgelegt, ein Buch voller Informationen, Wertungen und Anregungen. Wenn mir etwas fehlt, dann sind es ganzseitige, farbige Bilder. Aber da greife ich gern auf „Das große Trier-Buch“ zurück, das 1974 beim R. Piper Verlag erschienen ist.
Erstmals ist eine Gesamtschau auf Walter Trier und sein Werk eröffnet worden. Diese erlaubt seine Positionierung in der Zeitgeschichte und in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. Fortdauernde Wirkungen werden erkennbar.


Walter Trier war ein Großer, als bildender Künstler und als Humorist. Er überragte viele seiner zeitgenössischen Kollegen. Sein Gesamtoeuvre überzeugt sowohl in der grafischen Ausdrucksfähigkeit als auch in der humoristischen Aussage. Es ist von Können und Menschenliebe geprägt, human und zeitlos. 
 
Antje Neuner-Warthorst - Walter Trier - Eine Bilderbuch-Karriere"
© 2014 Nicolaische Verlagsbuchhandlung, 304 Seiten, gebunden,
16,5 x 22 cm, 145 Abbildungen  -  ISBN 978-3-89479-812-3
29,95 9,95 € (Preisbindung aufgehoben - nur noch beim Verlag und im Modernen Antiquariat zu bekommen)

Alle Abbildungen stammen aus dem Walter-Trier-Archiv Konstanz und wurden von den Erben von Walter Trier, Vancouver genehmigt. Das Copyright für das Bild der Lilliput-Auswahl liegt bei Erich Holthausen, Bergisch-Gladbach.

Weitere Informationen: www.nicolai-verlag.de/

Redaktion: Frank Becker