Die jungen Alten

von Hanns Dieter Hüsch

Foto © Paul Maaßen
Die jungen Alten
 
Sag mal, hab ich kürzlich zu mein Frau gesacht, möchtest du so jung sein, wie de alt bis? Oder so neu sein, wie de jung bis. Oder so alt sein, wie de neu bis. Da hat mein Frau gesagt: „Wat soll denn dat durcheinander jetzt, nich? Ich möchte so sein, wie ich bin.“ Un wie biste denn? hab ich da gefragt. Naja, hat da mein Frau etwas zögernd geantwortet, ich möchte so, ja, ich möchte so jung sein wie ich neu bin. Bravo, hab ich da gesagt, bravo, denn ich möchte nämlich auch so neu sein wie ich alt bin. Und ich sage dir, hab ich zu mein Frau gesacht, wir stehen für eine Entwicklung, die in der Geschichte der Menschheit einmalig ist. Einmalig. Du un ich? Nein, hab ich gesagt, nich nur ich un du. Sondern trau keinem über 60. Alles nämlich, was so über 60 is, kann jetzt die Welt verändern, und zwar ohne Aufstand. Ohne Aufstand! Weil, hab ich inzwischen rausgekriegt, weil wir, hm, nicht mehr Omma un Oppa spielen müssen, ne. Oder zum Beispiel als alte Trottels an den Rand der Gesellschaft geschoben werden, sondern genau umgekehrt! Wir sind auf dem Weg zu einer Gesellschaft, nich wahr, in der alt werden, alt sein keine Schande mehr ist, sondern wir gehören jetzt zu einer, wie heißt et immer, zu einer neuen dynamischen Generation, weil wir die jungen Alten sind, ne. Un von Vergreisung, ne, da kann überhaupt keine Rede mehr sein, aus, Schluß, basta! Ja, wenn dat so is, wenn dat so is, hat da mein Frau gesacht, dann ham wer ja nochmal Glück gehabt, ne? Dann kann ich ja vielleicht nochmals studieren, du holst deinen Doktor nach. Richtig, hab ich gesagt, ich hol meinen Doktor nach, ne, und das Adjektiv alt, das will ich nich nochmal hören, will ich nicht nochmal hören. Wenn ich jetzt inne Kneipe das Wort „Seniorenteller“ auf der Speisekarte lese, da werd ich mich sofort beschweren, nich wahr. Ich will nicht wie ein Kind behandelt werden und einer Kaffee- und Kuchen-Fürsorge untertan sein, so! So is dat nämlich, wa. Und ich, hat da mein Frau gesagt, ich möchte nich immer Ton in Ton gehen, und gedeckt vornehm mich anziehen, sondern flott und schick, ne. Vielleicht machen wer ne Partei auf! Vielleicht machen wer ne Partei auf, denn über 60 sind schon 12 Millionen, ne! Hoho, dat gäb ne ganz schöne Mehrheit. Und es wär ja auch gar nich so schlecht, wenn der übertriebene Jugendkult dann ma`n bißken weniger lautstark wäre, ne. Hat doch auch der Dings, wie heißt er, hat doch auch der Dings, der Philosoph da, der der, der na, der Ernst Bloch, der hat doch gesagt: Alter ist nicht das Ende, sondern das Alter ist Ernte. Und wenn man so denkt, ne, dann wird et schon bald keine alten Menschen mehr geben, ne. Wird es schon, sondern alle sin gleich jung! Genau, hab ich gesagt, genau dasselbe hat auch eine Heidelberger Professorin neulich gesagt. Wie hat se gesagt: Das eigene Alter, ne, nich mehr als Zeit, die man hinter sich hat, sondern, genau umgekehrt, als Zeit, die man noch vor sich hat, erleben. Genau dat isset doch, hab ich gesagt, nich, un ich möchte auch nich mehr in so einem Altenheim angeschrien werden, so zum Beispiel: „Oppa, du, Füße hoch, jetzt wird gestaubsaugt!“ un so weiter, ne. Wenn schon, dann möchte ich lebenssatt sterben, aber vorher noch, wie heißt et so schön, ähm, ähm, wissenschaftlich gesehen, der postindustriellen Gesellschaft ein neues Profil geben, so heißt et nämlich. Oder, hab ich gesagt, wir jungen Alten entwickeln eine Kultur der Muße. Dat wär doch mal schön! Richtig eine Kultur der Muße, grad wir Deutschen hätten da viel nachzuholen, ne. Un wer soll es den Leuten vormachen, wenn nich wir Alten, ich, ich meine, wir Jungen, ne. Mit unseren alten Fähigkeiten un Erkenntnissen zwischen Lebensmitte un Lebensabend, wobei ich das Wort Lebensabend ja auch gar nicht ausstehen kann, muß ich ehrlich sagen. Mit unseren Erfahrungen im Kopf wie im Bett. Also morgens Bett un abends, ne. Un in die Ferne, hat da mein Frau gesacht, da möchte ich auch noch mal reisen, ne! Ich steig dir in jedes Kanu, ob am Amazonas oder in Dings, in Papua, Neuguinea. Völlig wurscht! Immerhin kann mer 115 Jahre alt werden. Un ich, hab ich gesagt, ich kenne keine Pensionsgrenze, nich wahr, ich kenne nur noch junge alte Deutsche, un wenn ich kein Grauer Panther bin, aber n rosa Stier bin ich allemal. Et heißt zwar: Alter schützt vor Torheit nicht, aber das hat uns ja gerade jung gehalten, ne! Un wenn et so weitergeht, hab ich zu mein Frau gesacht, dann werden wer eines Tages auch noch zeitlos sein, nich wahr, un man wird aufhören, die Jahre zu zählen un wir sind ein einig Volk von alten neuen Jungen. Oh je, hat da mein Frau gesacht, aber deutsche Geschichte müssen wir nich unbedingt machen. Nee, sach ich da, nee, nee hab ich da geantwortet: Das ham wer dann schon alles längst hinter uns.
 
 

© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Zugabe" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Das Foto stellte freundlicherweise Paul Maaßen zur Verfügung