Eike Gramss mit 73 Jahren gestorben

Der Regisseur und Intendant hat das Theater erneuert

von Peter Bilsing

Foto © Stadtarchiv Krefeld
Regisseur und Intendant
Eike Gramss
mit 73 Jahren gestorben
(2. Januar 1942 in Twistringen; † 20. Juli 2015 in Salzburg)
 
 
Eike Gramss wurde am 2. Januar 1942 im niedersächsischen Twistringen geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Bremen studierte er zunächst Schauspiel an der Staatlichen Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Schon früh machte er als guter Schauspieler auf sich aufmerksam. Sein erstes Engagement hatte er in Verden an der Landesbühne Niedersachsen. Sein noch größeres Talent entdeckte der junge Künstler aber schon früh in der Regiearbeit. Mit Engagements in Wilhelmshaven, Celle und Braunschweig bestätigte er sein großes Talent. Später war er Oberspielleiter der Sparte Schauspiel in Heidelberg, Augsburg und Darmstadt (damaliger Intendant: Kurt Horres).
 
Von 1985 bis 1991 glänzte Gramss als Generalintendant in Krefeld/Mönchengladbach. Da er in dieser Zeit die kleine Stadttheater-Ehe zu durchaus internationaler Anerkennung und weit überregionaler Pressebeachtung brachte, möchte ich, als regelmäßig vor Ort Erlebender, diese Periode etwas näher betrachten, denn Gramss (damaliger Spitzname unter Freunden „KiloGramss“) hat sich um dieses niederrheinische Theater wirklich verdient gemacht. Es war eine Zeit der Blüte und Innovation, der Ausgrabung, Raritäten und Besonderheiten und eine Epoche der ausgiebigen Würdigung zeitgenössischer Oper. Was Gramss damals auf die Bühne stellte, war beispiellos und exemplarisch - vor allem für ein bis dato eher konservatives mittleres Haus.
Er eröffnete seine Ära 1985 höchst mutig mit Reimanns „Lear“ - geradezu eine Tollkühnheit für den bodenständig bürgerlichen Niederrhein und seine friedvolle Theater- und Volksbühnen-Gemeinde; parallel lief im Schauspielhaus Tollers „Masse Mensch“. Zeitgemäß würde man heute sagen „Hammer!“ Da schlugen die Wogen erst einmal hoch, und nach „Quartett“ von Heiner Müller war der Intendant bei den konservativen Theaterfreunden ziemlich schnell zur Hassfigur Nummer eins geworden.
 
„Sauerei! Da will uns einer unser schönes Stadt-Theater kaputtmachen...“
 
… tönte es schnell aus den Reihen der der konservativ altbackenen, nicht gerade innovativen Theaterfreunde. Und dann noch gleich „Schloß Rodriganda“ von Karl May - wobei das Blut bei Old Shatterhands Händedruck unbeabsichtigt bis ins Parkett spritzte. Mit „Bruder Eichmann“ waren viele Schauspielbesucher dann dem Infarkt nahe und man wünschte dem neuen Intendanten die Inquisition an den Hals, bzw. ihn ins Fegefeuer.
Doch soviel er museales Publikum verlor, soviel gewann er junge Menschen für sein Theater. Die revolutionären 60er Jahre der Aufklärung und Liberalität waren besonders an Mönchengladbach (immerhin ziert es eines der schönsten Opernhäuser - ein Geschenk von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels an seine Heimatstadt) ziemlich spurlos vorbei gegangen und so mußte man diese Epoche nun in der Theater-Ära Gramss nachholen. Da man sogar im SPIEGEL und der FAZ über seine fabelhaften Produktionen berichtete, konnte man ihn schwerlich wieder rauswerfen, auch zumal er ein Opernpublikum gewonnen hatte, welches teilweise von sehr weit, aus ganz Deutschland anreiste. In den späten 80ern war kaum eine Bühne so innovativ wie die Vereinigten Bühnen von Krefeld/Mönchengladbach.
„Ariane und Blaubart“ z.B. eine hierzulande vergessene Traumoper von Paul Dukas wurden von keinem geringeren als immerhin Steven Pimlott in Szene gesetzt (Bühne: Stefanos Lazaridis); und an die sensationelle Leistung von Marilyn Schmiege werden sich alle Opernfans noch gut erinnern; da war plötzlich internationales Format am Niederrhein. Zugegebnermaßen kostet Qualität Geld - und hier gab es natürlich bis zum Ende von Gramss Amtszeit immer wieder Probleme, Schuldenprobleme versteht sich, denn die Stadtväter wollten kein Welttheater und die Volksbühne wollte ihren Schweinehirten zurück.
1986 dann „Totenfloß“ (Müller) auf dem Schauspiel und „Judith“ (Matthus) bzw. „Die Kavaliere von Ekkebu“ (Zandonai) in der Oper. Die internationale Theaterkritik gab sich bei niederrheinischen Premieren immer öfter ein Stelldichein. 1987 kam „Baal“ (Cerha); der grandiose Monte Jaffe starb zischen veritablen Baumstämmen in einem Meer aus Torf mit viel Regen (echtes Wasser!). Das war Bühnenrealismus von Bregenzschen Ausmaßen. Vergleichbares hatte man vorher am Stadttheater noch nicht gesehen. Es erwuchs eine echte Konkurrenz zur benachbarten großen Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf/Duisburg.
1988 gab der sensationelle Yakov Kreizberg sein GMD-Debut mit Reimanns „Troades“. Im nächsten Jahr wieder eine Rarität: Rameaus „Platäas Hochzeit“ und Henzes „Elegie für junge Liebende“ - im parallelen Schauspiel das herrliche Musical „Linie 1“ bzw. großer Anspruch mit Döblins „Berlin Alexanderplatz“.
 
Was waren das für Zeiten!
 
Am Ende hat man ihn doch noch geliebt und die überwiegende Mehrheit verdrückte dann doch eine Träne, als er ans Berner Theater wechselte. Bei Schweiz denkt natürlich jeder sofort ans Geld und hier konnte Eike Gramss doch relativ aus dem Vollen schöpfen; ein letztlich verständlicher und durchaus karrieredienlicher Wechsel.
Von 1991 bis 2007 war er Direktor am Stadttheater Bern, wobei man ihm dort großzügige Regiearbeiten auch extern einräumte, u.a. in Bonn, Leipzig, Hannover, Karlsruhe, Montpellier, Nantes, Dublin, Berlin, am ENO London, der DOR in Düsseldorf/Duisburg, der Semperoper in Dresden, am Maggio Musicale Florenz, dem Megaron in Athen, der Vlaamse Opera in Antwerpen sowie an der Bayerischen Staatsoper. Gramss war ein international gefragter Regisseur geworden, der mittlerweile in der Champions-League spielte.
Er arbeitete mit berühmten Dirigenten zusammen: Yakov Kreizberg, Angelo Cavallaro, Christof Prick, Jiří Kout, Julius Rudel, Paul Daniel, Fabio Luisi, Myung-Whun Chung und sogar dem großen Zubin Mehta.
Am Salzburger Mozarteum war Gramss ab 2007 als Professor für Musikdramatische Darstellung tätig, einem Posten, den er bis 2013 innehatte. Zuletzt inszenierte er dort 2014 noch Mozarts „Don Giovanni“.
Lieber Eike, mögest Du in Frieden ruhen. Du hast Dich um unsere europäische Theaterwelt verdient gemacht. Mit 73 Jahren bist Du viel zu früh von uns gegangen. Zumindest meine Theaterwelt und wichtige Teile meines Theaterlebens und meiner Erfahrung als Kritiker hast Du nachhaltig geprägt. Mit dem besten Tropfen, den ich noch in meinem Keller habe, werde ich Deiner würdig und angemessen gedenken. Wir trauern um einen großen Theatermann.
 
Dein Peter Bilsing *
 
Kurioser Nachtrag:
2004 stand er als Intendant vorm Obergericht Bern. Vorwurf: schwere fahrlässige Körperverletzung. Bei einer Hauptprobe war ein dermaßen realistisch lauter Schuß abgegeben worden, daß einer der Opernsänger einen vorgeblich dauerhaften Gehörschaden erlitten haben soll. In erster Instanz hatte das Kreisgericht Bern-Laupen Gramss als Regisseur der betroffenen Inszenierung schuldig gesprochen; später wurde das Urteil aufgehoben.
 
* Da ich Eike aus seiner KR/MG Zeit persönlich gut kannte, möge mir der geneigte Leser das sehr Persönliche im Schlußsatz verzeihen.
 

Der Beitrag wurde mit freundlicher Erlaubnis aus
Der Opernfreund übernommen.