Die großen leeren Plätze

von Hanns Dieter Hüsch

Hanns Dieter Hüsch -  © Paul Maaßen
Die großen leeren Plätze
 
Die großen leeren Plätze haben es mir angetan.
Wenn sie leer sind, wenn der Wind über sie streicht
Und Papier zusammenträgt, wenn die Zirkuswagen ihre
Kurven ziehen und sich eingraben in Wiese oder Kopfstein.

Nichts ist trauriger als eine Kirmesstadt, die langsam abgebrochen
wird, Stück für Stück, Gerüst um Gerüst, ein Brett
nach dem anderen wandert in den Schlafwagen. Um weiter
zu wandern.

Herrlich, wenn die Lampen verlöschen, der Mond sich verkrümelt
Und man zwischen verstummten Karussell einher marschiert,
Irgendeinen Fetzen Papier fußballspielend vor sich herschiebend.
Oder am Tage steht man dabei und sieht zu, wie eine Lili-
putwelt zerstört wird. Ein Holzpferd wird vorbeigetragen.
Ein Auge fehlt. Es wird von den Arbeitern gesucht.

Es wird nicht gefunden.

Oder wenn du an der Sägemehlspur erkennst, daß hier eine
Manege war. Nichts ist erregender als eine versunkene
Welt, von der man nur noch die Lesezeichen von tausend
und abertausend Geschichten findet, Geschichten, die alle
im Sande verlaufen sind:

Wenn aus den Wolken Regen weht,
aus Kummer sich ein Mann betrinkt,
In Japan ein Taifun entsteht,
ein Mädchen sich die Lippen schminkt,
Wenn aus den Wolken Regen weht.
In Übersee wird profitiert,
Ein Leitartikel spricht sich rund,
Ein Bankbeamter subtrahiert
Die Toten auf dem Meeresgrund.
Und überall sitzt Mann und Frau
Und Mensch und Tier und Herz und Geist,
Betrachten diese Welt genau,
Die stets in unsren Köpfen kreist,
Auf Zirkusplätzen, leeren Bühnen,
Zeitungspapier und Apfelsinen-
Schalen, in ausgelaugten Flüssen
Schwimmen Kleider und gefälschtes Geld,

Es kreist der Schmerz in unsren Häusern
Niemand ist restlos glücklich -
Verdammt und zugenäht.
Es flieht der Philosoph in seine Klause, der Prediger auf seine
Kanzel, der Bürger ins moralische Gehäuse, der Tramp
in seine Rauschgiftintervalle.
Es hat die Armut keinen Platz mehr, man will nicht mehr
besitzlos sein.
Das macht die Welt so unfreundlich.

Ich habe heute gut verkauft, ich habe 120 Tabakspfeifen
mit eingebauter Aussicht auf den Drachenfels verkauft und
51 Hampelmänner und 64 Geduldspiele, wo man die Lieb-
lingsfrau des Maharadscha wieder in den Haremszwinger
befördern muss. Die Haremsdamen gehen weg wie Warme
Semmel.

Ich esse mir dafür einen Pfannkuchen mit Speck und spanischem Salat.
Doch wenn die Kneipe mir zu voll, verzieh” ich mich und
lebe von der Luft.
In meinem Koffer ist noch viel Geduld und Schwäche.

Die großen leeren Plätze haben es mir angetan,
Auf denen man die Pfützen überspringen kann
Und in die Häuser sieht,
Wenn welche da sind, rundherum,
In denen eine Hölle ausgebrütet wird,
Von Etage zu Etage,
Obwohl sie alle, wie sie sagen,
Nicht humorlos sind,
Bis ihre Klugheit eines Tages
Im Sand verläuft.
 
Ein Holzpferd wird vorbeigetragen.
Das Herz fehlt.
Es wird von den Dichtern gesucht.
Es wird nicht gefunden.
 
 
Hanns Dieter Hüsch
 
 
 
© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Ich möcht ein Clown sein" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Das Foto stellte freundlicherweise Paul Maaßen zur Verfügung.