Baker Street 221B

Maria Fleischhack – „Die Welt des Sherlock Holmes“

von Frank Becker

My dear Watson...
 
The most difficult crime to track is the one which is purposeless.
(Arthur Conan Doyle)
 
Inverness-Reisemantel, der unverwechselbare Deerstalker, eine Calabash-Pfeife und eine große Lupe: an diesen Versatzstücken erkennt man Sherlock Holmes, den größten Detektiv aller Zeiten. Dem Zeichner Sidney Paget (1860-1908), der im Auftrag der Zeitschrift „The Strand“ die Holmes-Geschichten illustrierte, ist wohl am ehesten das öffentliche Bild des Detektivs zu verdanken. Sherlock Holmes´ Schöpfer, Sir Arthur Conan Doyle (1859-1930), ist heute vor 85 Jahren, am 7. Juli 1930 gestorben. Grund genug, Ihnen ein Buch (vielleicht das beste überhaupt) über die Hintergründe der Figur des Detektivs, seine literarischen Vorlagen, seine raffinierte Erfindung und Lancierung durch Doyle, seine Freunde und Gegenspieler sowie seine 60 Kriminalfälle vorzustellen.
Maria Fleischhack hat es geschrieben. Die promovierte Anglistin lehrt an der Universität Leipzig, ist Mitglied des internationalen Podcasts „The Baker Street Babes“ und veröffentlicht regelmäßig Beiträge in den Mitgliedermagazinen der deutschen und der amerikanischen Sherlock-Holmes-Gesellschaft, den „Baker Street Irregulars“. Ihr wunderbares Buch „Die Welt des Sherlock Holmes“ offenbart nicht nur ungeheure Detailkenntnis über Figuren und Fälle, es belegt eine kombinatorische Fähigkeit der Autorin, die jener des Gentleman-Detektivs kaum nachsteht und offenbart pralle Erzählfreude bei ihr wie bei dem verehrten Arthur Conan Doyle.
 
Doyle erster Roman „Eine Studie in Scharlachrot“ erschien 1887 – er löste weltweit eine Begeisterung für Kriminalgeschichten aus, die bis auf den Tag auch für seine 60 Erzählungen aus dem viktorianischen Zeitalter anhält. Viele nachfolgende Autoren sind seither auf seinen literarischen Spuren gewandelt, haben ihm Reverenz erwiesen oder ihn kopiert (s.u.). Daß und weshalb keiner der Epigonen das komplexe, raffinierte Konstrukt Doyles´ wirklich kopieren konnte, zeigt Maria Fleischhack in ihrer hochintelligenten wie witzigen Studie. Doyle wendet nämlich einen genialen

The Strand Magazine, 1891
literarischen Kniff an, indem er 56 der 60 Kriminalfälle, die Sherlock Holmes aufklärt, von seinem Freund und Detektiv-Kollegen Dr. John Watson erzählen läßt, der auch die genaue Charakterisierung des Meisters der Kombination Holmes vermittelt. Doyle verschaffte über den Ruhm seiner Figuren hinaus einer – notabene nicht existenten - Adresse Kultbedeutung bis auf den Tag, der Londoner Baker-Street 221B, wo die Vermieterin Mrs. Hudson sich um das Wohl der beiden Romanhelden kümmert. Maria Fleischhack läßt nichts davon aus, selbstverständlich werden auch Holmes Gegenspieler James Moriarty, Sebastian Moran und Irene Adler beleuchtet.
 
„Conan Doyles Geschichten fanden schnell Nachahmer – bis heute. Arthur Conan Doyle selbst gab seinen Segen für Nacherzählungen, Neuinterpretationen und Adaptionen, als er einem Theaterschauspieler sagte: „Sie dürfen ihn verheiraten, ihn umbringen oder überhaupt alles mit ihm tun, was Sie wünschen.“ Das ließen sich die Fans, darunter berühmte Literaten, nicht zweimal sagen, und schufen unendlich viele neue Fälle um ihren Helden. Selbst von Agatha Christie und Mark Twain gab es Sherlock-Holmes-Geschichten.
Hinzu kommen Verfilmungen, die schon in der Stummfilmära begannen. In den 40ern waren die Verfilmungen mit Basil Rathbone als Detektiv Straßenfeger. Heute geben andere Stars Sherlock Holmes ihr Gesicht. Ob Benedict Cumberbatch in der BBC-Serie „Sherlock“ oder Robert Downey Jr. in den Blockbuster-Verfilmungen von Guy Ritchie: Sherlock Holmes ist ein Star der Popkultur. Auch die US-Serie Elementary beruht auf dem literarischen Vorbild. Jede Generation entdeckt ihn neu, modernisiert und verjüngt ihn, aber die Grundkomponenten bleiben erhalten: In seiner so exzentrischen Figur vereinen sich wissenschaftlicher und technischer Fortschritt mit Menschlichkeit, Freundschaft und Gerechtigkeit. Werte die auch noch im 21. Jahrhundert zählen, und Sherlock-Holmes zahlreiche neue Fans und Freunde im Internetzeitalter sichern.“ 
(Verlagstext)
It has long been an axiom of mine that the little things are infinitely the most important.
(Arthur Conan Doyle)
 
Ausgesprochen wichtig ist das Verständnis für die literarischen Vorbilder Doyles, denen sich da Buch – auch mit Zitaten aus Holmes-Geschichten
 
 Kameradschaft Verlagsgesellschaft, 1930
© Archiv Musenblätter
– widmet. Denn Doyle läßt in pikanter Schlitzohrigkeit Dr. Watson und Sherlock Holmes selbst diesen Faden spinnen.
Edgar Allan Poe (1809-1849) hat mit C. Auguste Dupin „Ein Unheimliches Räthsel“ ein wichtiges Vorbild geschaffen, Emile Goboriau (1832-1873) mit seinem Inspektor Lecoq ein weiteres. Aber auch das Nachwirken von Arthur Conan Doyles genialer Voraussicht auf die kommenden Methoden der Kriminaluntersuchung (Forensik, Zeugenbeurteilung, Verhörtechnik u.a.) ist kaum hoch genug zu würdigen. Quasi ein Jules Verne der Kriminalistik hat er Methoden vorausgesehen, ja vorgegeben, die Edmond Locard (1877-1969) später in seinem Standardwerk „Die Kriminaluntersuchung und ihre wissenschaftlichen Methoden“ zusammenfaßte. Dieses Grundlagenwerk erschien übrigens 1930, im Todes Jahr Doyles erstmals in deutscher Sprache.
Ungezählt sind die Neu- und Wiederauflagen der Sherlock Holmes-Abenteuer, nahezu unüberschaubar die Kino- und Fernseh-Verfilmungen – auch hier vermittelt Maria Fleischhack die wichtigsten Adaptionen, vergißt auch nicht den deutschen Spielfilm „Der Mann, der Sherlock Holmes war“ (mit Hans Albers und Heinz Rühmann), läßt aber betrüblicherweise die einfach geniale Comic-Parodie „Nick Knatterton“ von Manfred Schmidt aus, mit der Schmidt vor genau 65 Jahren in der Illustrierten „Quick“ dem Detektiv, der Pfeife, dem Karo und der markanten Nase ein Denkmal setzte.
 
Ein wirklich phantastisches, kluges, unterhaltsames und informatives Buch über den berühmtesten Detektiv der Kriminal-Literatur, das ich unseren Lesern wärmstens ans Herz lege und das mit Fug und Recht unsere Auszeichnung erhält: den Musenkuß!
 
There is nothing more deceptive than an obvious fact.
(Arthur Conan Doyle)
 
Maria Fleischhack – „Die Welt des Sherlock Holmes“
© 2015 Lambert Schneider Verlag / Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 288 Seiten mit 40 s/w-Illustrationen, Namensregister, Werkregister, Literaturverzeichnis, Schutzumschlag, Lesebändchen - ISBN 978-3-650-40031-4
€ 24,95 [D], für Mitglieder der WBG 19,95 €

 
 © 1953 Südverlag / Archiv Musenblätter
 
Weitere Informationen:  www.wbg-wissenverbindet.de