Der schöne Schein ist schnell dahin

Eugene O´Neills "Eines langen Tages Reise in die Nacht" in einer Inszenierung des Potsdamer Hans Otto Theater

von Frank Becker

Der schöne Schein ist schnell dahin

Eugene O´Neills Drama „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ in einer Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg am Potsdamer Hans Otto Theater

 

O´Neills 1956 uraufgeführtes Stück mündet in dreieinhalb aufregenden Stunden in eine quälende Hoffnungslosigkeit – und begeistert. O´Neill bricht in diesem Stück schonungslos die letzten schützenden Hüllen seiner Figuren auf, entblößt ihre verwundeten Seelen und überlässt sie ohne Erbarmen ihrem unausweichlichen Schicksal.

James Tyrone (Roland Kuchenbuch) war Schauspieler. Einst genial als Othello, doch erfolgreich


Roland Kuchenbuch - Angelica Domröse
Foto: Bernd Uhlig
geworden durch eine unwesentliche Rolle en suite, wohlhabend, aber von Geiz zerfressen. Jetzt trinkt er. Mary, seine Frau (Angelica Domröse) hat den einstigen Star angebetet, ihm drei Söhne geboren, einen, Eugene, im Alter von zwei Jahren verloren. Sie war einmal eine gute Pianistin. Jetzt ist sie durch Behandlungsfehler bei der Geburt des Jüngsten Morphinistin, wird von der Schuld, die sie sich am Tod des ersten Sohnes gibt, schier erdrückt. James jr. „Jamie“, der älteste Sohn (Carsten Kochan) hat sein Studium abgebrochen und ist, vom Vater gedrängt, ebenfalls Schauspieler geworden. Ein schlechter. Er ist 33, trinkt und hurt. Sein nachgeborener 24-jähriger Bruder Edmund (Tobias Rott) ist ein Versager, Provinz-Reporter und schwindsüchtig, wäre gerne Poet, rechnet mit seinem Tod. Er trinkt.

Dreieinhalb Stunden Theater mit vier halt- und hoffnungslosen Personen, nahezu ohne Handlung, mit erbarmungslos unter die Haut gehenden Dialogen. Geht das, hält man das aus? Die Antwort ist schlicht: Ja. Ja, denn Stoff und Darsteller stimmen. Uwe Eric Laufenberg hat Eugene O´Neills wortgewaltiges, stark autobiographisch gespeistes Drama 50 Jahre nach seiner deutschen Erstaufführung inszeniert. Mit vier großartigen Schauspielern ist ihm ein Kammerspiel von hoher Intensität gelungen, ein Theatererlebnis, das den Zuschauer in ein Wechselbad von Emotionen taucht, nein: stürzt,  eines das man nicht abhakt, ein Abend der einem nachgeht.

Als betörendes Thema zieht sich John Coltranes melancholischer Cool Jazz „Soul Eyes“ durch die Inszenierung, schafft Ruhe, wo die Gemüter aufgewühlt sind, liegt wie eine segnende Hand über dem Geschehen. Vier zerstörte Menschen, die ihre bürgerliche Anständigkeit nach außen behaupten, entblößen sich im Verlauf  kompromissloser Auseinandersetzungen und Monologe. Im Zusammenprall der vier Charaktere wird unendliche Liebe zueinander sichtbar, die durch scheinbar unabwendbaren Hass verätzt wird. Keiner scheint den anderen zu brauchen, doch nicht einer wird ohne die anderen überleben können. Eugene O´Neill hat sehr genau die zerbrochene Familie seiner Eltern aufgezeichnet. Nicht ohne Grund gibt er dem gestorbenen Sohn der Tyrones seinen eigenen Namen und zitiert in James Tyrone seinen Großvater.

Es gibt kein Licht, nicht an dem einen qualvollen Tag, der uns vorgeführt wird, nicht an irgend einem anderen in diesem kaputten Leben. Für keinen von ihnen. Sie sind wie die Nebelhörner, die vom Fluss her dumpf die Nacht durchdringen. Keine Hoffnung auf ein besseres Morgen, einen letzten, sicheren Hafen. Sie zerfleischen sich, hadern mit sich, den anderen, dem Schicksal - und quälen sich einem neuen Tag entgegen. Edmund zitiert Baudelaire: „Ihr müsst immer betrunken sein – berauscht euch ohne Unterlass...“ Sie halten sich daran.


Angelica Domröse - Foto: Bernd Uhlig

Die fabelhafte Angelica Domröse mit Roland Kuchenbuch an ihrer Seite reißt einem das Herz auf, schmerzhaft, beängstigend. Dennoch ist es Uwe Eric Laufenberg gelungen, einen Hauch von Menschlichkeit im Raum schweben zu lassen, wenn sie am bitteren Ende ausgebrannt zu viert am Tisch sitzen, sich der Vorhang senkt und den Weg für brandenden Applaus frei gibt.


Weitere Informationen unter: www.hansottotheater.de