Der Herbst der Erinnerungen

Dave Brubeck: "Indian Summer"

von Bernd Geisler

Der Herbst der Erinnerungen

Wer jemals den „Indian Summer“ in Kanada vom Flugzeug aus bewundern durfte, wird diesen Anblick niemals mehr vergessen. Soweit das Auge reicht, Blätter, Blätter und Blätter; doch kein Quadratmeter gleicht dem anderen. Jedes Blatt leuchtet in anderen Farbe, in einem anderen Licht, mit einer anderen Struktur. Nicht wie im Sommer um Aufmerksamkeit heischend, grell und schrill mit steif emporgereckten Hälsen, sondern warm und innig, mit Tiefe und Wärme. Es scheint, als zeigten die Bäume und Pflanzen des Sommers noch einmal alles, was in ihnen steckt, bevor sie der Welt Lebewohl sagen: Behaltet uns in guter Erinnerung.

Ob Dave Brubeck solche Gedanken durchflossen, als er das Album „Indian Summer“ aufnahm? Wer weiß. Immerhin sitzt der Pianist mit 87 Jahren noch vor den Tasten. Seine Frau Iola soll ihn auf die „philosophische Bedeutung“ des Indian Summer aufmerksam gemacht haben: Indian Summer bedeutet auch Lebensabend. So steht’s jedenfalls im Klappentext. Dave Brubeck widersprach seiner Frau nicht. (Die Weisheit des Alters läßt grüßen.) Stattdessen erinnerte er sich an alte Standards - „Georgia On My Mind“, „Sweet Lorraine“, „Indian Summer“ - und setzte sie in ein Umfeld neuerer eigener Stücke. Harmonie heißt dabei Brubecks Zauberwort. Gespielt wie mit dem weichen Pastell-Pinsel gemalt und dann verwischt, so erzeugen alle Songs den Eindruck des sanften, farbenprächtigen nordamerikanischen Herbstes. Warm und innig, mit Tiefe und Wärme.

Brubeck läßt der Musik ihre eigene Zeit. Er legt Wert auf jede einzelne Note - auch die in einem begleitenden Akkord - und gibt ihr voller Wertschätzung die Bedeutung, die ihr gebührt. Sogar die Pausen erzittern beinahe unmerklich in einer sensiblen Intensität. Die Atmosphäre ist dicht und intensiv wie mit feinem Zwirn gewebt, umschmeichelt den Hörer zugleich wie ein Seidentuch das Décolleté.

Das ist keine Musik zum Nebenherhören. Man muß sich ihr widmen,  lauschen. Und bitte nicht alle 16 Stücke brutal hintereinander verkonsumieren! Ein exzellenter Rotwein versagt sich dem Gierigen, der ihn direkt aus der Flasche schlürft. Ebenso lohnt es sich, jeden einzelnen Song zu kosten und zu genießen. Dann drückt dieser „Indian Summer“ eine außergewöhnlich gute Erinnerung an Dave Brubeck ins Herz.
Beispielbild
Cover Photo: Superstock

Dave Brubeck
Indian Summer

Dave Brubeck - Klavier

©  2007 TELARC

Produzent: Russell Gloyd

Titel:
1. You'll Never Know   04:42
2. I'm Alone   05:18
3. Autumn In Our Town 04:55
4. So Lonely   03:15
5. The Masquerade Is Over   04:14
6. Ghost Of A Chance  04:21
7. Pacific Hail   04:22
8. September Song   04:43
9. Summer Song      04:15
10. Thank You   05:04
11. Georgia On My Mind 04:31
12. Spring Is Here   03:58
13. Sweet Lorraine   04:43
14. Memories Of You   04:16
15. This Love Of Mine   03:56
16. Indian Summer   04:53

Gesamtzeit: 71:33


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