Zugedröhnt

„Roaring Silvester“ mit Tom Gäbel und der Thilo Wolf Big Band

von Peter Bilsing

Zugedröhnt
 
Big Band Sound kaputtverstärkt - Kein „swinging“,
sondern ein ohrenerschütterndes „roaring Silvester“
 
Philharmonie Essen am 31.12.14
 
Angekündigt war „Swinging Silvester mit Tom Gaebel“, doch der vielversprechend als swingend angekündigte Abend mit Tom Gaebel, Caroline Kiesewetter und der Thilo Wolf Big Band wurde ein akustisches Desaster. Dem Publikum in der ausverkauften Philharmonie Essen wurden die Ohren mit übermäßiger elektronischer Verstärkung derart zugedröhnt, daß nicht wenige das Haus völlig enttäuscht schon in der Pause verließen. Um Big-Band-Swing zu genießen war man gekommen, um einen Ohrenschaden zu vermeiden, mußte man flüchten. Swing-Sound war nicht mehr erkennbar. Alles vermischte sich zu unerträglichem Krach.
Schon merkwürdig wirkte beim Eintritt, daß man anscheinend jedes Instrument des Brass-Ensembles (mit separaten Mikrophonen versehen) über riesige Boxen zu verstärken gedachte. Die vorne auf den teuren Außenplätzen sitzenden Zuhörer fanden sich unmittelbar vor riesigen Lautsprecherboxen. Als dann das Orchester einsetze, brach ein akustische Inferno los; obwohl drei „Fachleute“ (?) am Mischpult mitten in der Philharmonie saßen, wurde es nicht leiser; im Gegenteil, augenscheinlich hieß das Motto: „Haut rein, dreht auf!“ Hörbar keine Fachkräfte, sondern gehörlose Lautstärkeregler, die ihr „Fachkönnen“ wohl sonst bei Open Air Rockkonzerten, in Scheunen oder Zirkuszelten gigawattmäßig unter Beweis stellen.
Wie ist es sonst möglich, daß man ein eigentlich vorzügliches Bandkonzept derart maßlos technisch-akustisch aufgeblasen, durch geradezu irrwitzige Lautstärke so ruiniert? Gab es denn keinen hörenden und fühlenden Menschen, der bei der Generalprobe die technische Gurkentruppe mal darauf hinwies, daß man hier in einer von Deutschlands akustisch besten Tonhallen spielt? Leute ! Hier können ein Flügel oder eine Violine den ganzen Raum unverstärkt, notabene, bis zur letzten Reihe füllen! Hier trägt die gute Sängerstimme (fast im gesamten Jahr) alleine, sogar über ein klassisches 130-Mann-Orchester und begeistert die Essener Musikfreunde tagtäglich ohne jede technische Verstärkungs-Hilfe.
Und dann: wieso muß eine Big-Band, die doch aus überwiegend ohnehin recht klangmächtigen Blechblasinstrumenten und Reeds besteht, überhaupt noch separat verstärkt werden? Dizzy Gillespie, Artie Shaw, Benny Goodmann oder Glenn Miller - pars pro toto... - haben vor Tausenden von Menschen in großen Hallen unverstärkt überzeugt und ihre Zuhörer jahrzehntelang begeistert.
 
Natürlich gebietet Unterhaltungsmusik, daß die Vokalsolisten Mikrophone nutzen und daß die Orgel und der Bass ein wenig verstärkt dem Saal
angepaßt werden, aber dies darf sich doch nicht in solch einem Radau exponieren! Ist das Gehör der verantwortlichen Techniker schon so durch Diskotheken geschädigt, daß man nicht mehr mitkriegt, was ein normaler Klang ist? Saß dort überhaupt ein einziger ernstzunehmender Tontechniker? Wieso kann ein Fachmann wie Bandleader Thilo Wolf beim Soundcheck so etwas überhaupt durchgehen lassen? Hat der Star des Abends Tom Gaebel denn keine Freunde, Manager oder Berater, denen das bei der Generalprobe doch schon hätte auffallen müssen...?
So konnte eigentlich niemand die schönen Stimmen von Caroline Kiesewetter (normalerweise eine fabelhafte Jazz-Sängerin) und Tom Gaebel genießen. Auch, warum eben diese Band zu einer der besten Deutschlands gezählt wird, war nicht nachvollziehbar. Mit den Worten „Lärm statt Musik“ könnte man ein böses musikhistorisches Zitat hier leicht verfremdet treffend verwenden.
Leider kein - wie angekündigt - perfekter Start in einen wundervollen Silvesterabend. Nein, das war ein akustischer Horrortrip. Eigentlich müßte man den gut 1.800 Besuchern das Eintrittsgeld zurückerstatten, denn das war kein schöner swingender Musikabend, sondern eher akustische Körperverletzung. Golden Swing in Rammsteinlautstärke ist einfach unerträglich!
Ich bin sehr sehr traurig, solche Zeilen schreiben zu müssen, hatte ich doch noch vor einigen Jahren Tom Gaebel mit seinem Orchester an eben diesem Ort (die Band natürlich damals kaum verstärkt) hoch gelobt und den Ausnahmekünstler sogar als den „deutschen Frank Sinatra“ bezeichnet, ihm sogar eine große Zukunft prognostiziert. Doch mit solchen Konzerten, verehrter Tom Gaebel, verprellt man seine Fans und verjagt Neu-Interessierte und alte Fans der guten gepflegten Swing Music. Das muß doch nicht sein... 

Peter Bilsing / 1.1.15 - Redaktion: Frank Becker