Der Spott der kleinen Dinge

Bärenticket

von Lars von der Gönna

© Heiko Sakurai
Bärenticket
 
Neulich hat ein Gorilla den aufrechten Gang gewagt. Er stand einfach auf und ging, es war gar kein Problem. Die Welt hielt den Atem an: ein Affe im aufrechten Gang. Er heißt Ambam. Sein Zoo ist in England und er kann gehen. Vielleicht ist das nur der Anfang. Vielleicht sitzt Ambam jetzt schon im Eurostar nach Brüssel. Es gibt keinen Grund, das kategorisch zu verteufeln. Man kann denen nicht die Regenwälder abholzen und dann dagegen sein, dass die Affen rübermachen.
   Ich war fasziniert von dem Gedanken, daß die Tiere über Nacht Rache nehmen, eiskalte, zweibeinige Rache. Daß sie uns die Ausbildungsplätze wegnehmen, die Frauen und ganz am Ende noch die Liegen am Pool. Ein schielendes Opossum aus Leipzig, las ich, soll bald die Oscar-Verleihung moderieren. Das paßte bestürzend gut in meine Theorie.
   Mit meiner Argumentation konfrontierte ich die Frau, mit der ich immer auf den Bus warte. Unsere Gespräche sind schwierig, wir sind zu verschieden. Ich diskutiere gern über den Sinn der Winterfütterung, sie hat eine Nachbarin, die den Flur nicht macht. Aber Affen sind immer ein Thema. Wir standen im Wartehäuschen, und ehe sie von der Flurwoche anfangen konnte, erklärte ich unaufgefordert, daß der Tod des Regenwaldes uns den Gorilla zweifellos regelrecht vor die Tür treibe. Ich ahmte nach, wie er anklopft.
   Die Frau kannte die Geschichte vom aufrechten Gang. Über meine Theorie einer Revanche der Fauna lachte sie kalt. »Der Gorilla ist doch aus England, dem kann man gar keinen Regenwald wegholzen«, sagte sie. Ich hielt mit einer Reise-Erinnerung aus Wales dagegen, die »Regenwald« für englische Forste als wohlwollende Untertreibung erscheinen ließ. Unser Bus kam. Die Frau hielt dem Fahrer ihr Bärenticket unter die Nase. Verstört suchte ich nach einem Einzelplatz.
 



© Lars von der Gönna - Aus dem Buch „Der Spott der kleinen Dinge“
mit freundlicher Erlaubnis des Verlags Henselowsky Boschmann und der WAZ.