Küssen verboten!

Tomi Ungerer – „Kein Kuß für Mutter“

von Steffi Engler

Küssen verboten!
 
Also, diesen aufmüpfigen Katzenrotzlöffel Toby Tatze nicht ins Herz zu schließen, ist schon allein der herrlichen Titelzeichnung wegen einfach unmöglich! Dasselbe gilt für seine haarige Verwandtschaft. Vor 40 Jahren hat der elsässische Zeichner Tomi Ungerer (*1932) sich die zauberhafte, allzumenschliche Katzengeschichte „Kein Kuß für Mutter“ und ihre komisch-verrückten Skurrilitäten ausgedacht und illustriert, der Diogenes Verlag, der sie auch ursprünglich schon herausgebracht hatte, legt nun eine wunderhübsch gemachte Neuauflage vor.
 
Toby haßt es, stets und über all von seiner Mama geknuddelt und abgeküßt zu werden – er möchte keine Schmusekatze sein! Welcher Heranwachsende hätte das nicht schon selbst so erlebt und empfunden ? Und manch ein Junge oder Mädchen wird sich mit Schaudern an das mit Mamas Spucke angefeuchtete Taschentuch erinnern, das sich drohend dem Schmutz- oder Schokoladenfleck im Kindergesicht nähert. Iiiih! Und je näher man der Pubertät rückt, desto schlimmer wird es. Wie alle kleinen Buben haßt Toby es auch, Ordnung zu halten, vorgeschrieben zu bekommen, wann und ob überhaupt die Zähne geputzt werden, auf Kommando das ekelhafte Frühstück zu essen - selbst wenn es knusprige Heringsgräten und leckere Finkenmägen sind (nicht einmal den frisch durch den Wolf gedrehten Mäusemix will er) - vor allem aber möchte er auf keinen Fall „Schätzchen“ und „Honigschneck“ genannt werden. Wie albern und herabsetzend! Und Hausaufgaben? Auf keinen Fall!
Lieber liest er morgens auf dem Klo seinen „Ratman“-Comic, schießt mit seiner Zwille (auch mal auf Vaters Windschutzscheibe), denkt sich Streiche aus, stört im Schulunterricht und rauft. Ja, Toby ist ein Teufelsbraten.
Das Maß ist schließlich voll, als er nach einer ordentlichen Prügelei mit Kumpel Max lädiert und verbunden – natürlich sind die beiden danach gleich wieder dicke Freunde – mit Mama Tatze essen gehen muß und sie ihn auf der Straße mit peinlicher mütterlicher Fürsorge und Liebe (inkl. Küssen) überschüttet. Toby rastet öffentlich aus: „Küsse, die ganze Zeit Küsse! Ich mag nicht! Ich will nicht!!!“ Da fällt einem natürlich sogleich der Song „Küssen verboten!“ der Prinzen ein, die damit wie Tomi Ungerer einen Dauerbrenner in die Welt gebracht haben.
Daß er aber jetzt überzogen hat, merkt der Lausebengel – und tut etwas ganz Liebes, um Mama zu versöhnen.
 
Tomi Ungerer hat die Geschichte mit einfachsten literarischen Mitteln so treffend erzählt, daß man gar nicht anders kann, als sie gleich noch einmal zu lesen. Daran sind natürlich auch die witzigen Illustrationen schuld, die er mit Katzen-Phantasie beigesteuert hat: die besagten „Ratman“- Comics, die Rattensalami-Fabrik, im Restaurant die Krähe auf dem Serviertablett des Kellners, die Kugel der Zwille, die den Bildrand durchschlägt, Mutter, die mit Kamm (!) und Bürste die Fische schuppt, eine Hitler-Parodie und vieles andere mehr.
Das ist so herrlich gemacht, daß es nicht schwer fiel, bei der Redaktion durchzusetzen, diesem süßen Buch unser Prädikat zu verleihen: den Musenkuß!
 
Tomi Ungerer – „Kein Kuß für Mutter“
Eine Geschichte über zu viel oder zu wenig Liebe
© 1974/2014 Diogenes Verlag, 44 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag – ISBN 978-3-257-01178-4
14,90 €
 
Weitere Informationen:  www.diogenes.ch