Vom guten Essen in guter Gesellschaft (5)

Lukullische Abschweifungen

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Vom guten Essen in guter Gesellschaft (5)
Lukullische Abschweifungen

Wenn es um große Namen geht und um Humor in der Küche, möchte ich auf meinen Lieblingsgourmet kurz zu sprechen kommen: Gioacchino Rossini.
Dabei muß ich aber zuvor kurz auf Alexandre Dumas den Älteren kommen,
das ist der, der „Die drei Musketiere“ und „Der Graf von Monte Christo“ geschrieben hat. Er war ein Bestseller-Autor, gefeiert in ganz Frankreich, ein großer Gourmet und ein grandioser Hobbykoch. Er fuhr mit seinem persönlichen Sonderzug durch Frankreich, an den er immer einen Küchen-Waggon angekuppelt hatte. Dort werkelte er mit seinem Koch mit Kasserollen, Brätern, Messern und Sieben herum, daß es nur so eine Freude war. Und er schrieb ein grandioses Buch (ich habs in französisch, deutsch und italienisch): „Le grand dictionnaire de la cuisine – das große Wörterbuch der Küche“. Auf dieses Buch war er stolz wie Oskar und er litt sein Leben lang wie ein Hund darunter, daß er als Koch nicht genau so anerkannt war wie als Romancier. Er sagte von sich, daß er eigentlich zum Koch berufen sei und hielt von seiner Schriftstellerei wenig. Wie er live gekocht hat – ich weiß es nicht. Es ging ihm aber so, wie es vielen gegangen ist: die Schriftsteller sagten, er kocht besser als er schreibt, die Köche sagten, er schreibt besser als er kocht – normal. Er hatte sich einmal fürchterlich mit meinem Lieblings-Gourmet in der Wolle, und auf den wollte ich eigentlich hinaus: Gioacchino Rossini.
Man weiß, daß Rossini lieber gekocht als komponiert hat. Komponiert hat er immer in fürchterlicher Eile und rasend schnell. Den Barbier von Sevilla hat er in zwei Wochen geschrieben – unsereins würde diese Zeit brauchen, um nur die Noten fürs Orchester abzuschreiben! Als Donizetti erfuhr, daß Rossini den Barbiere in zwei Wochen geschrieben hat, sagte er: „Das kann sein, er war immer schon ein großer Faulpelz“.
Nur beim Kochen nahm er sich Zeit. Da konnte er stundenlang in der Küche stehen und an einem Rezept herumprobieren, bis es perfekt war. Immer war er auf der Suche nach neuen Kompositionen, vor allem in der Küche.
Und jetzt kommen wir wieder zu Alexandre Dumas:  der wurde um ein Rezept für Maccaroni alla napoletana gebeten. Er mußte zugeben, daß er keines habe und betonte, er habe deshalb keines, weil er maccaroni verachte. Es hat ihm aber keine Ruhe gelassen, also ging er zu Rossini, dessen Erfindung „maccaroni alla fiorentina“ damals weltberühmt war. Viele Feinschmecker meinten, daß dieses Gericht himmlisch sei, wenn es Rossini selbst zubereitet.
Wie auch immer: Dumas kommt zu Rossini, der lädt ihn zum Maccaroni–Essen ein. Danach gebe er ihm das verlangte Rezept. Die Maccaroni schmecken aber unserem wackeren Dumas nicht, er läßt sie einfach stehen.
Das erbost Rossini so sehr, daß er ihm das Rezept natürlich nicht gibt. Dumas rächte sich dafür, indem er in ganz Paris erop und erav erzählte, Rossini sei ein Angeber, der nichts vom Kochen verstünde und kleidete das in den berühmten Satz: „Mag er sich den größten Komponisten von gestern, heute und morgen nennen, niemals aber wieder einen Maccaronisten!“
Und das einem der größten Maccaroni-Kenner aller Zeiten! Ihm war Essen immer wichtiger als alles andere, sogar als Komponieren.
Rossini hat etwas sehr Eigenwilliges getan: auf dem Höhepunkt seiner Erfolge, da war er gerade 37 Jahre alt und ganz Europa feierte ihn, zog er sich vom Komponistenleben zurück. Von hier auf jetzt: Schluß mit dem Streß, laufend neue Opern komponieren zu müssen, jetzt lebe ich für mich und fertig. Kein Mensch hat das verstanden, weil Menschen immer so linear denken. Er hat einfach die Gewichte in seinem Leben verschoben und seiner zweiten Natur, der Feinschmeckerei, mehr Raum als bis dahin eingeräumt.
 
Was er tatsächlich getan hat, war: Hof halten in seiner Pariser Wohnung und in seiner Villa in Passy bei Paris, wo er legendäre Soireen veranstaltete (samedi soir chez Rossini!), was eines in jedem Fall verlangt: hohe Kreativität und Fingerspitzengefühl. Zuviel Salz im Rezept, zuviel Honig in Empfehlungsschreiben oder zuviel Selbstinszenierung bei Soireen lassen alles ins Gegenteil kippen.
Also schreibt er z.B. an seine erste Frau, Madame Isabella Colbran, die Callas ihrer Zeit: „Was Sie wohl am meisten interessieren wird, viel mehr als meine Oper, ist die Erfindung eines Salates, die ich kürzlich machte, und ich beeile mich, Ihnen das Rezept zu senden. Nehmen Sie Provence-Öl, englischen Senf, französischen Essig, Salz und Pfeffer und mischen Sie alles zusammen. Werfen Sie einige Trüffeln dazu, die Sie zuvor ganz fein geschnitten haben. Die Trüffeln mit der Salatsauce ergeben ein Aroma, das den Feinschmecker zur Ekstase reizt. ...Die Trüffel ist fürwahr der Mozart der Pilze.“
Er erfand die Cannelloni und viele Salatsaucen. Die Tournedos à la Rossini hingegen hat er nicht erfunden. Die Idee, Trüffel und Gänseleber mit Rinderfilet zu kombinieren, mag ihm gekommen sein, ausgeführt hat sie ein Profi. Soweit wir wissen: Carême, der Große.
 
Er konnte sich tagelang über Stracchino-Käse, Gorgonzola, Trüffeln und den besten Metzger unterhalten. Es gibt Briefe über Briefe, in denen er seine italienischen Freunde um Salami, cacciatori, Parmesan und ähnliches bittet. Es gibt quasi Diplome, die er besonders verdienten Bäckern und Metzgern schickte. Und es gibt Legion von Anekdoten.
Ein neuer Importeur italienischer Delikatessen macht sich in Paris bekannt. Rossini sucht ihn auf. „Haben Sie Maccaroni aus Napoli?“
„Ma si, signore, ecco, maccaroni napolitani, meravigliosi, senta l’odore, mhmm, c’è il golfo, c’è il vesuvio, c’è tutta Napoli“.
„Von wegen Napoli. Diese maccaroni sind aus Genua“
„Napoli“
„Genua“ sagt Rossini und geht.
„Wer war diese Signore?“ fragt der Importeur Herrn Michotte, einen Freund Rossinis.
„Das war der berühmte Komponist Rossini, mein Herr“ entgegnet dieser.
„Kenne ich nicht“, sagt der Importeur, „aber wenn er so viel von Musik versteht wie von Maccaroni, dann muß er ein großer Komponist sein!“

In diesem Sinne
Ihr
Konrad Beikircher
 
 
 ©  2014 Konrad Beikircher für die Musenblätter
Redaktion: Frank Becker