„Heinrich VIII“

Leidenschaftliche spanische Inszenierung beim Neusser Shakespeare-Festival

von Andreas Rehnolt

Foto © Christoph Krey
 

„Heinrich VIII“
Leidenschaftliche spanische Inszenierung von Ernesto Arias
beim Neusser Shakespeare-Festival
 
Die Theatertruppe Fundaciòn Siglo de Oro aus Madrid
begeisterte das Publikum im Nachbau des Londoner Globe
  
399 Jahre nach seiner Uraufführung im Londoner Globe-Theater hat Shakespeares letztes Stück „Heinrich VIII“ in spanischer Sprache beim Shakespeare-Festival im rheinischen Neuss das Publikum begeistert. Im Nachbau des Globe brillierte die Theatertruppe Fundaciòn Siglo de Oro aus Madrid mit einer feurigen und leidenschaftlichen Interpretation des Königsdramas. In dessen Mittelpunkt steht bekanntlich nicht nur die Titelfigur des englischen Königs „Enrique VIII“, den man hierzulande am ehesten wegen seiner sechs Frauen und der Art und Weise kennt, wie er sich jeder einzelnen entledigt hat. Im Zentrum des Stücks wie in dem der spanischen Variante geht es ganz zentral auch um Macht, um Einfluß und um Geld.
 
Das Königs-Drama spielt auf den Fluren und in den Hinterzimmern der Macht. Die aus Madrid mit angereisten beschlagenen Türen auf der Bühne des Neusser Globe sind auch deshalb meist geschlossen. Bis auf einen kleinen Betschemel und zwei Prunksessel braucht es kein weiteres Bühnenbild. Die 14 Akteure tragen prachtvolle Überwurf-Gewänder. Der Herzog von Buckingham äußert in Anwesenheit zweier Adliger den Verdacht, daß Kardinal Wolsey ein Ränkespiel gegen ihn treibt. Er hört nicht auf die Warnungen von Norfolk, beschwert sich beim König (lässig-würdig-herrisch: Fernando Gil) über den Kardinal und wird schließlich wegen Hochverrat verhaftet.
Im Prozeß kocht bei Buckingham (Julia Hidalog) die Wut hoch. Mehrfach will er gegen seinen früheren Sekretär, der ihn aufs Schwerste beschuldigt, losgehen, so ungeheuerlich sind dessen Verleumdungen. Doch es nutzt nichts. Das Urteil lautet auf Tod. Trotz seiner zu Herzen gehenden Verteidigungsrede kniet er kurz darauf in zerrissener schwarzer Decke und einem Sack über dem Kopf vor einem riesigen Holzklotz, das Beil des Henkers fällt und die Zuschauer gruselts, als sein abgeschlagener Kopf aus dem Sack gezogen wird. Die Trauer indes dauert nicht lang. Zu ausgelassen und fröhlich tanzen die Adligen am Hofe des englischen Königs auf einem Fest von Kardinal Wolsey. In kardinalsrot gekleidet, einen Protzring an jedem Finger, dick und selbstgefällig: Jesùs Fuente.
Der Wein fließt, die Paare kommen einander näher und zwei, nämlich Anne Boleyn (süß und unschuldig aber auch begierig: Sara Moraleda), Kammerzofe von Königin Katharina von Aragon und der demaskierte Heinrich VIII höchstpersönlich kommen sich sogar so nah, daß der beschließt, sich von seiner einige Jahre älteren Katharina scheiden zu lassen. Die Königin (Elena González) ist darüber natürlich „not amused“, giftet, tobt gegen Wolsey und erklärt im Scheidungsprozeß in Anwesenheit des päpstlichen Abgesandten Kardinal Campeius, sie würde keinem Gericht in London trauen, sondern ihr Recht beim Papst suchen. Ihr Abgang von der wirklich nicht großen Bühne im Globe ist riesig und einer Königin wahrhaft würdig.
 
Im dritten Akt versucht Kardinal Wolsey gemeinsam mit seinem Sekretär Gardiner dann, die Königin umzustimmen und ihr Schicksal in die Hände des Königs zu legen. Gerade noch auf dem Betstuhl kniend bricht die Wut aus Katharina heraus. Sie tobt gegen die beiden Kirchenmänner an, die erschrocken rückwärts taumeln und sich anhören müssen, daß sie nur dem Gericht Gottes vertraue, das kein König korrumpieren könne. Nach einer kurzen Pause dann wird Wolsey vom König seines Amtes enthoben und verstoßen. Der Grund: Er hatte einen Brief an den Papst geschickt und den gebeten, die Ehe des englischen Königspaares nicht zu annullieren. Nach einigem Hin und Her verbannt Enrique VIII schließlich Katharina und heiratet Anne Boleyn, die er bereits geschwängert hat.
Unter der Leitung des Erzbischofs von Canterbury, dem Kirchenreformer Thomas Cranmer (schlicht erscheinend, feinsinnig und fast schon lutherisch auftretend: Jesús Teyssiere), wird Anne zur neuen Königin gekrönt. Von Gardiner und anderen Hofschranzen gesponnene Intrigen gegen Cranmer weist Heinrich VIII mit donnernden Worten und wütenden Gesten zurück. Die Schlußzene ist ergreifend. Minutenlang wird zu Orgelmusik das Baby auf den Namen Elisabeth getauft. Der Erzbischof verkündet dem König, seinem Hofstaat und ganz England die zukünftige Größe der Windelträgerin. Währenddessen geistert Katharina im weißen Hemd - für die Würdenträger und Feiernden unsichtbar - über ihre Situation lamentierend und phantasierend zwischen ihnen herum und stirbt. Dazu schüttet es wie aus Eimern auf das Dach des Globe, so stark, daß die Schauspieler noch lauter sprechen müssen. Kein Regie-Einfall, sondern Natur-Ereignis.


Foto © Christoph Krey
 
Die spanische Sprache paßte hervorragend zu diesem Stück. Kein Flüstern, kein sanftes Sprechen. Stattdessen harte und herrische Töne, Wut, Zorn und Bitterkeit. Das Spiel stets emotional und laut, doch nie theatralisch. Nicht wenige im Neusser Globe hoffen darauf, daß diese Theatertruppe aus dem fernen Madrid, die in der 20jährigen Geschichte des Shakespeare-Festivals erstmals an den Rhein gekommen ist, nicht auch zum letzten Mal hier war.