Eine intime Kinderfrage

von Hermann Schulz

Foto © Frank Becker
Eine intime Kinderfrage

Von Hermann Schulz
 
Regelmäßig lese ich in Schulklassen Teile aus meinen Büchern oder neue Geschichten. Ehrlich gesagt: Die Fragen, die die Kinder anschließend stellen, wiederholen sich und zeigen oft, daß sie nicht richtig zugehört haben. Das muß man mit Geduld ertragen, denn in ihren Köpfen arbeiten sie oft minutenlang aufgeregt an ihren Formulierungen, so daß einiges an ihnen vorbei geht.
Dann gibt es Wortmeldungen, die ganz wunderbar die kindliche Weltsicht oder tief verborgene Hoffnungen und Probleme zeigen; schon deshalb lohnen sich solche Lesungen und Gespräche.
Vor wenigen Wochen erlebte ich in der Else-Lasker-Schüler-Schule in Wuppertal eine Besonderheit: Die Schülerinnen und Schüler waren zwischen 13 und 14 Jahre alt; die Lehrerin hatte sie gut auf meinen Besuch vorbereitet. Entsprechend waren die Fragen gezielt, klug und manchmal zu Herzen gehend. Wir sprachen über die Herkunft von Geschichten, und wie und ob ich als Autor das Selbsterlebte in meine Bücher bringe, welche Rolle die Phantasie spielt, Erfahrungen mit Menschen und dergleichen mehr. Dieses Zusammenspiel interessierte auch jene Schüler, die sich nie zu Wort melden.
Da fragte mich eine Schülerin, leicht errötend:
„Wie ist das eigentlich mit Ihren eigenen Liebeserlebnissen? Bringen sie die auch in Ihre Bücher?“ Nach kurzem Zögern sagte ich wahrheitsgemäß:
„Auf keinen Fall! Die gehören nur mir und der früheren Partnerin!“
Ich sah, wie es in den Köpfen der Kinder arbeitete und sie versuchten, diese Antwort richtig zu deuten; sie schien ihnen zu gefallen. Da meldete sich die gleiche Schülerin noch einmal: „Darf ich Sie noch etwas fragen? Es gibt in Ihrem Leben doch sicher auch Sachen, - als Sie verliebt waren, meine ich, also: wo nichts zustande gekommen ist. Die Frau Nein gesagt hat zum Beispiel!... oder so?!“
Meine Antwort machte mir keine Mühe. „Das ist das Privileg eines Autors! Solche Erlebnisse kann er in gelungene und geglückte Liebesgeschichten verwandeln. So oft er will! Davon finden sich viele in meinen Büchern.“
In dem Augenblick fiel mir ein geeignetes Beispiel ein. Einige Monate vor dieser Lesung war im Verlag Beltz & Gelberg die Anthologie „Glücksvogel“ erschienen. Ich hatte für diese Sammlung, die Jochen Gelberg selbst herausgegeben hat, u.a. eine solche Geschichte niedergeschrieben, sie trägt den Titel „Lied am Wintermorgen“.
Ich erzählte der Schulklasse, ich sei als Dreizehnjähriger in ein Mädchen namens Claudia aus meiner Klasse verliebt gewesen. Da sie aber aus sehr reichem Haus kam, immer toll gekleidet war, und ich aus einer armen Familie, meine Kleidung war entsprechend, hätte ich mich nie getraut, sie anzusprechen und ihr meine Zuneigung zu gestehen. Sie hatte ja, glaubte ich, nicht einmal einen Blick für mich …
Aus dieser Erinnerung hätte ich die Liebesgeschichte „Lied am Wintermorgen“ geschrieben, wo alles auf wunderbare Weise glücklich ausgeht. -
Aber damit war die Geschichte nicht zu Ende, und ich erzählte, was sich wenige Monate nach Erscheinen des Buches ereignet hatte:
„Bei mir ging das Telefon.
‚Hier ist Claudia! Deine alte Klassenkameradin…‘ Sie lachte. ‚Du kannst mich, wenn Du willst, natürlich auch Cornelia nennen!‘ Diesen Namen hatte ich ihr in der Geschichte gegeben.
Ich war völlig überrascht, ein wenig verwirrt - und errötete vermutlich am Telefon. Dann sprach Claudia weiter: ‚Stell Dir mal vor! Ich habe für meine Enkel das Buch „Glücksvogel“ gekauft, und was lese ich da? Deine Geschichte! Diese Cornelia in deiner Erzählung, das kann doch nur ich gewesen sein, oder? Ich habe es sofort erkannt, weil Du das Porzellangeschäft meines Vaters erwähnt hast …‘
Ich errötete am Telefon noch mehr und stammelte herum. Dann fuhr sie fort:
‚Du bist wirklich ein Idiot! Warum hast Du mir damals nichts gesagt? Ich fand Dich doch auch toll! Aber Du hast mich ja nicht mal angeguckt!‘
Dann lud sie mich ein, sie und ihre Familie am Niederrhein zu besuchen. Es wurde eine wunderbare Begegnung. Bei Kaffee und Kuchen mit Mann und Kindern. Allerdings haben wir den Grund für die Einladung nicht erwähnt. Ist auch besser so, denn jetzt gehört die Geschichte ihr und mir!
(Und den Leserinnen und Lesern der Musenblätter!)
Diese Folgen des Telefonats erzählte ich der Klasse. Die Schülerinnen und Schüler waren, wie man sagt, aus dem Häuschen. Daß es nach über 60 Jahren doch noch zu einem gegenseitigen Geständnis gekommen war, fanden sie toll!
„Ist sie immer noch reich?“, fragte jene mutige Schülerin. „Und so schön wie damals?“ Verständliches Gelächter in der Klasse.
„Ja, viel wohlhabender als ich, vermute ich. Ihr hättet mal ihr Haus sehen sollen! Und auf ihre Art genau so schön wie damals. Daß sie reicher ist, spielt jetzt keine Rolle mehr. Weil wir darauf nicht mehr so achten, und weil solche Erlebnisse ein Stück Poesie sind, eine ganz andere Art von Reichtum, den man nicht mit Geld aufwiegen kann.“
 
 
Hermann Schulz lebt als Autor in Wuppertal. Ende August 2014 erscheint sein Roman „Die Nacht von Dar es Salaam“ (ca. 19.90 €), die dramatische Lebensbeichte eines deutschen Missionars vor seiner Abreise. Der Autor hat fünf Jahre an dem Buch gearbeitet. Signierte (oder unsignierte) Exemplare können portofrei gegen Rechnung bestellt werden:
oder: Auf dem Brahm 11, 42281 Wuppertal (Und in jeder Buchhandlung natürlich!)