Du kannst nicht immer 60 sein

Ein kabarettistischer Liederabend über das Älterwerden mit Ulrich Michael Heissig und Ilja Richter

von Frank Becker

Du kannst nicht immer 60 sein
 
Ein kabarettistischer Liederabend über das Älterwerden
(Ein musikalisches Show-Spiel)
mit Ulrich Michael Heissig und Ilja Richter
 
Regie: Ilja Richter, Ulrich Michael Heissig - Choreographie: Marie-Christine Zeisset - Ausstattung: Zoltan Labas - Musikal. Leitung: Ingvo Clauber, Christian Kullak
Mit: Ilja Richter, Ulrich Michael Heissig, Kim Pfeiffer
 
Dem Älterwerden die heitere oder/und die lyrische Seite abgewinnen – eine Aufgabe, der sich zwei, die es wissen müssen in einer kleinen kabarettistischen musikalischen Erzähl- und Lese-Show gestellt haben: der Schauspieler Ilja Richter als er selbst, knapp über 60 und der Kabarettist Ulrich Michael Heissig (in seiner Rolle als Irmgard Knef gefühlte 86). Seit Mittwoch spielen die beiden ihr Doppelprogramm im Theater im Rathaus in Essen. Aber zur Vorgeschichte:
 
„Licht aus – Spot an!“
 
„Zeige mir einen in dieser Republik, der Ilja Richter nicht kennt und ich gehe in Sack und Asche“ wird ein bekannter Fernsehkommentator zitiert. Er kann getrost so auftrumpfen, denn der einstige Kinderstar und frühere „Disco“-Moderator, der sich längst zum seriösen Schauspieler entwickelt hat, war in den 70er Jahren eine Figur, an der sich die Generationen spalteten und an der niemand vorbei kam. Die einen (jungen) liebten den schlaksigen Zappelphilipp mit der kaum dem Stimmbruch entwachsenen krächzenden Knaben-Stimme, die anderen (älteren) fanden ihn einfach nur nervtötend.
Heute kann der Ur-Berliner auf einen reichen Schatz an Erfahrungen zurückgreifen, den er durch seine Tätigkeit im deutschen Schlagergeschäft hat sammeln können. Er tut das in seinem Buch, das der Show ihren Titel gegeben hat „Du kannst nicht immer 60 sein“ und er tut es als kurzweiliger Erzähler von Anekdoten und als Parodist vieler der Stars, die er als Jüngling angesagt hat: Bata Ilic (der Tragöde des deutschen Schlagers), Peter Alexander mit seiner verlogenen Verlegenheit und Moral („Hier ist ein Mensch“) oder Chris Roberts, der mit seiner Bewegungsmechanik und seinem Top-Hit „Du kannst nicht immer 17 sein“ die Initialzündung zu Buch und Show gegeben hat. Und: haben Sie schon mal den Text eines deutschen Schlagers genau angeschaut? Ilja Richter tut es und stößt auf Zeilen wie „Dunkel war die Nacht, ein Vogel sang…“. Da steckt Naturwissenschaft drin.
 
Der alte Fuchs ist abgewetzt...
 
Stumm und vergessen hat sie ihr Leben in einer Parallelwelt gelebt. Sie hat geschwiegen, sich das Schweigen vielleicht sogar bezahlen lassen, aber irgendwann, im reifen Alter von immerhin 75 Jahren ist des Schweigens nicht länger: sprach SIE, die verkannte, verdrängte, betrogene Zwillingsschwester von Hilde - Irmgard Knef ging an die Öffentlichkeit!
Der Sindelfinger und naturalisierte Berliner Regisseur und Schauspieler Ulrich Michael Heissig hatte vor einem guten Dutzend Jahren die faszinierende Idee, dieser bestechenden Fiktion Wort und Gestalt zu verleihen. Mit aufgefrischten Texten trat er in fast beängstigender Identität (Ähnlichkeiten mit dem Original sind durchaus beabsichtigt) auf die Bühne und ist seitdem Irmgard, in Maske, Sprache und Gestus ein Ebenbild Hildegard Knefs, zugleich eine ungewöhnlich tiefe Huldigung an die große Dame des deutschen Chansons und Films.
Frech kalauernd erzählt bis heute Irmgard von den gemeinsamen Anfängen als Kinderstars in den Variete-Palästen Berlins vor dem Krieg. Berlin lag den Zwillingsschwestern zu Füßen, als sie „1+1 das ist 2“ sangen und Erich Kästner ein Kinderbuch nach ihnen betitelte, bis die braune Zeit in nur zwölf Jahren ihre Welt in Trümmer legte. Noch vor der „Währung“ ging Hilde nach Hollywood, Irmgard blieb in Berlin. Während Hilde Champagner trank und Seidenstrümpfe trug, soff Irmgard Bier in Kreuzberger Kneipen und blies Trübsal, wurde Eintänzerin im Café Keese. Die eine wurde ein Star, die andere die Undine vom Landwehrkanal, eine Spree-Loreley.
Wie Heissig das und viele andere denkbare Anekdoten aus Irmgards verpfuschtem Leben mit fabelhaftem Vibrato und verzitternd ersterbender Stimme in atemlos verwehenden Sätzen er- zählt, ist berührend und einfach genial. Die eingeflochtenen Chansons legen neue Texte auf Hilde Knefs bekannte Erfolge, aus „Ich brauch kein Venedig“ wird „Ich bin nicht die Hilde“ und der Welterfolg „Für mich solls rote Rosen regnen“ erklingt als „Auch ich möcht' einmal Rosen kriegen“.
 
Zusammengerauft

Wenn nun also Ilja Richter durch einen Planungsfehler des Theaters auf die heute flotter den je wirkende Irmgard Knef trifft – und diese beiden Individualisten (zunächst) um den Vorrang auf der Bühne kämpfen, haben die Zuschauer allen Grund zum Lachen. Doch die beiden machen zum Vergnügen des Publikums das Beste daraus. Abwechselnd stellen Herr Richter sein Buch und Frau Knef ihr Lamento über den verpaßten Ruhm vor. Wenn sie sich dann nach der Pause zusammengerauft haben, wird eine kleine musikalisch-komödiantische Show rund um das Thema Alter und Altern daraus. Heftige Kalauer und respektlose, bisweilen nur sehr zweifelhaft komische Ausblicke auf die mögliche Altersdemenz stehen in diesem bunten Programm
neben wirklich amüsanten Anekdoten und herrlichen Parodien - mit der charmanten, Step-begabten Allrounderin Kim Pfeiffer als kleiner Farbklecks der Inszenierung.
 
Die nächsten Termine sind heute und morgen, weitere Termine (bis 29.6.) und Karten: www.theater-im-rathaus.de