Ein phänomenaler Abend

Bundesjugendorchester & Bundesjugendballett in der Philharmonie Essen

von Peter Bilsing

Ein phänomenaler Abend
Bundesjugendorchester & Bundesjugendballett
 
Philharmonie Essen, Montag 21.April 2014
Zimmermann, Dukas, MacMillan, Haydn & Bernstein –
ein  großer sinfonischer Abend mit Ballett in bezaubernden Choreographien
 
Dem Bundesjugendorchester (gegründet vom Deutschen Musikrat 1969) zu lauschen ist immer etwas Außergewöhnliches. Fern dem quasi „Beamtenalltag“ den wir in den Städtischen Sonntagskonzerten mit den jeweils einheimischen Orchestern und ihren immergleichen Programmen erleben und gelegentlich durchleiden, sind ihre Auftritte (nicht nur für den Kritiker) stets ein Erlebnis. Viva la Musica! Diesem jungen Nachwuchskollektiv - den besten Talenten Deutschlands - sein Ohr zu leihen, ist immer ein Genuß, denn man erlebt vorbehaltloses Engagement, pure Hingabe an die Musik, Freude am Musizieren und auch Spaß statt Dienst nach Vorschrift und innerer Verweigerung jeglichem Modernen und Unbekannten gegenüber, wie ich es oft erlebe.
 
Daß man gleich mit dem Auftaktstück, der Ballettsuite „Alagoana - Caprichos brasileiros“ eine beispiellose Würdigung und Ehrung Bernd Alois
Zimmermanns bringt, einem der sicherlich größten deutschen modernen Komponisten des 20. Jahrhunderts, ist nicht hoch genug anzuerkennen, denn Zimmermann wird im klein-, sowie großstädtischen Orchesteralltag immer noch gemieden wie ein Aussätziger. Als seine phänomenale, aber sowohl ausgesprochen schwer zu rezipierende, wie auch zu realisierende große Oper „Die Soldaten“ in Köln (seiner Heimat) uraufgeführt werden sollte, verweigerten sich die Musiker und die Verantwortlichen; das Stück sei absolut unaufführbar. Daß es dennoch 1965 über die Bühne ging, war letztlich keinem geringeren als dem großen Dirigenten Michael Giehlen zu verdanken, einem Orchesterleiter, der sich stets wie kein anderer um Raritäten, Verborgenes und Entdeckungen bemüht hat.
Dem Ballett liegt ein Indianermythos zugrunde, nach dem Mann und Frau zunächst unsterblich waren, bis dann die Liebe in das Leben der Menschen eintrat und damit der Tod... Das Ganze ist unverkennbar von einer ebenso glühenden Klangebärde, wie Klangeros erfüllt.“ (B.A. Zimmermann)
Es ist ein Stück in der Dimension für ein Mahler-Orchester, bereichert mit Vibraphon, Gitarre, Celesta, Cembalo, Bongos, Maracas, Guiro und Saxophon-Quartett. Die klangliche Wirkung ist ungeheuer. Interessant, daß es 1954 gerade die Bühnen der Stadt Essen waren, die den Kompositionsauftrag erteilten (UA 1955, Choreografie: Paolo Bortoluzzi). Eine wirklich tolle Wahl. Und mit soviel Aplomb, Akkuratesse und Einsatz gespielt, wird man dieses kongeniale Stück wohl kaum je wieder hören. Ein superber Auftakt! Was für eine unglaubliche Leistung hat der sympathische Alexander Shelley da mit den jungen Musikern vollbracht. 
 
Das Bundesjugendorchester und die acht Tänzer des Bundesjugendballetts lösen im zweiten Teil des Abends die Grenze zwischen Bühne und Orchestergraben auf. Zuerst Dukas „Der Zauberlehrling“ nach Goethes Ballade, was trotz des großen Orchesters auf dem Podium - durch Wegnahme von sieben Sitzreihen ergab sich eine ausreichende Tanzfläche - zum Tanzerlebnis wurde. Die junge niederländische Choreografin Wubkje Kuindersma hatte dieses Ballett der jungen Truppe praktisch auf die Haut choreographiert - Untertitel „A Playful Light“; begründet aus dem vielfältigen Tanz-Spiel mit Eimern, die subtil von innen beleuchtet wurden; großer Beifall vom begeisterten Publikum.
Dann folgt „Exsultet“ (Fassung für sinfonisches Blasorchester & große Orgel) in der Choreografie von Sasha Riva & Marc Jubete; ein nur achtminütiges Stück von James MacMillan - kurz aber prägnant. Die Bläser sitzen über das ganze Orchesterpodest verteilt. Wir hören am Anfang

Alexander Shelley- Foto: Nürnberger Syphoniker
die Blechbläser nur in den tiefsten Registern im Pianissimo. Es soll eine musikalische Reise vom Dunkeln ins Licht akustisch vermittelt werden. Am Ende wird es immer wilder und fröhlicher bis dann exaltierte Fanfarenstöße uns im Fortissimo fast erschlagen. Beeindruckend musiziert und getanzt.
Haydns Sinfonie Nr. 30 Alleluja ist zum Ende hin dann ein erholsamer Ruhepunkt. Die Choreografie des großen John Neumeier bildet einen wunderbaren optischen Gegenpart zum klerikalen Andante dieser weihevollen Kirchen-Musik. Eine schöne nachösterliche Friedfertigkeit, wobei Langeweile nicht aufkommt; vom sprichwörtlichen Hocker reißt das allerdings auch keinen. Gut, daß es noch eine Zugabe gibt, die das Publikum dann wirklich förmlich von den Stühlen reißt:
Bernstein Ouvertüre zu „Candide“. Da geht die Post ab. Hier überzeugen die Musiker zum zweiten Mal mit geradezu überragender Spielfreude, und der fabelhafte Dirigent Aleyander Shelley (bitte den Namen unbedingt merken) zelebriert und zaubert auf der Suche nach der besten aller Welten ein Finale furioso, einen Höllenritt, wie ihn der große Lenny nicht hätte selber dirigieren können. Atemberaubenderes Tempo geht nicht. Und wer sich diese alte Youtube-Aufnahme mit Bernstein anhört, bekommt in etwa eine Vorstellung, was da geschah. Bravo, Bravissimo und Dank an alle. Ein toller Abend.
 
Das aktuelle Bundesjugendballett - Namen, die man bald auf den großen Bühnen dieser Welt sicherlich wiederfinden wird...