Anteilnahme

von Hanns Dieter Hüsch

Foto © Paul Maaßen

Anteilnahme

Erkundigen wir uns, mein Freund;
jeder, jeder ist doch froh
wenn man Anteil nimmt.
Ganz egal, ob er nun groß oder klein,
dick oder dünn, berühmt oder unbekannt ist.
Die meisten Menschen,
wir alle, brauchen das.
Wir brauchen,
daß mal jemand kommt und nach uns fragt.
Nicht wahr?
Denn nach den meisten Menschen
fragt doch kein Mensch.
Viele blühen doch richtig auf,
wie ein Honigkuchenlipizzaner,
wenn man sie fragt,
was sie denn so machen.
Wenn man sich für sie interessiert.
Und da können Sie mir sagen,
was Sie Wollen,
alle Menschen werden im Augenblick
ganz andere Menschen,
wenn sie merken,
da ist plötzlich jemand,
der oder die sich für das,
was ich so mache, interessiert.
Plötzlich sieht der ganze Tag völlig anders aus,
viel heller, obwohl es regnet.
Weil man auf einmal von sich erzählen darf.
Und dann muß man einfach zuhören.
Das ist übrigens das Wichtigste.
Zuhören können,
den anderen einfach mal alles erklären lassen.
ich habe das regelrecht üben müssen,
muß ich zugeben.
Man hört sich ja auch gern selbst reden.
Besonders Künstler.
Aber jetzt ist mal der andere, der oder die andere dran
Und der ist ganz überrascht,
endlich hört ihm mal jemand zu.
„Das hab ich ja noch nie oder höchst selten erlebt.“
ich lasse mir oft von Leuten
ihren Beruf haarklein erklären,
obwohl ich gar nichts davon verstehe.
Aber der andere erzählt mir dabei sein ganzes Leben.
Und ich sehe, wie er immer leidenschaftlicher wird.
Vor einer halben Stunde
war er noch apathisch und verbittert
und seine kleine Frau saß
ganz klein und schüchtern neben ihm.
Und jetzt sind beide nicht mehr zu bremsen,
und sie erzählen und erklären und beschreiben
und machen und tun,
bloß weil jemand gesagt hat:
„Wie geht's lhnen?“ und „Was machen Sie?
Erzählen Sie doch mall“
Sie müssen das, meine Freunde, auch mal machen.
Auch wenn Sie nicht gleich sämtliche Völker der
Welt erreichen.
Probieren Sie's mal aus.
Wenn Sie wieder einmal demnächst,
hie und da in Gesellschaft sind, oder egal wo,
gehen Sie einfach mal
auf den Stillsten und aut die Schüchternste zu,
fragen Sie, was beide so machen,
dann lassen Sie sie erzählen.
Sire, geben Sie den Menschen ihre Bedeutung zurück!
Heute hier, morgen zwischen Moskau und Smolensk
und übermorgen auf der ganzen Welt.
Beginnen wir, meine Lieben, mit unserem Weg,
nämlich bei uns selbst.
Vielleicht ein bißchen viel verlangt,
so früh am Morgen,
aber heute Abend
ist es vielleicht schon zu spät.
 
 
Hanns Dieter Hüsch
 

© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus dem Band "Ich setze auf die Liebe" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung