Warmherziges Portrait einer Lebensader

Friedhelm Wessel - „Manchmal auch in Unterbuxe“

von Frank Becker

Warmherziges Portrait einer Lebensader
 
Geschichten vom Rhein-Herne-Kanal


Der 1914 eingeweihte 45,4 km lange Rhein-Herne-Kanal zwischen Rhein und Dortmund-Ems-Kanal ist viel mehr als „nur“ ein wichtiger Wasserweg für die Binnenschiffahrt und die Montanindustrie des 20. Jahrhunderts der Ruhr-Region – er war von Anfang an Lebensader sowohl für Industrie wie auch für die Menschen, die dort leben und lebten, arbeiteten und deren Heimat das Revier zu beiden Seiten längs des Kanals ist. Eben dieses tief empfundene Heimat-Gefühl ist es, was die Sammlung von Erinnerungen und selbst erlebten Geschichten ausmacht, die Friedhelm Wessel für sein Buch „Manchmal auch in Unterbuxe“ mit eigenen und Beiträgen von Karin Boehm, Wolfgang Schubert, Lothar Lange, Manfred Hoese, Paul Reding, Norbert Hüls aufgezeichnet und zusammengestellt hat.
Die einen transportierten auf dem Kanal in den Bäuchen ihrer Schiffe Kohle, Öl, Futtermittel, Baustoffe und vieles andere mehr, die anderen nutzten unter der Woche die Treidelwege rechts und links zur Fahrt mit dem Rad zur Arbeit. Aber für Kinder und am Wochenende war der Kanal das Ausflugsziel schlechthin: Schiffkes kucken, inne Sonne liegen und picknicken. Wat is wohl schöner, als wennse annem schönen Sommertag am Kanal Mutters Kartoffelsalat mit Frikadelle und ´n Fläschken Bier verdrückst und die Blagen beim Baden zukuckst? Nix.

Friedhelm Wessels herzerwärmende Sammlung von Erzählungen authentischer, zum großen Teil eigener Erlebnisse am Kanal von den späten 30ern über das Kriegsende 1945 bis zu den 70er Jahren, durchflochten mit historischen Fakten, zeichnet ein ungemein sympathisches Bild des kleinbürgerlichen Mikrokosmos rechts und links der steilen Uferböschungen. Der Leser erlebt die Lektüre als freundliche Einladung, sich mit auf die mitgebrachte Decke zu setzen, über Belangloses zu plaudern, den Kindern zuzusehen, wie sie vorbehaltlos in die schmutzige Brühe des Kanals steigen, manchmal eben auch in Unterbuxe, wenn die Badehose zu Hause vergessen war. Die Mutigen sprangen und springen wohl heute noch von den Brücken ins Wasser und enterten die langsam vorbeituckernden Kähne – ein gefährlicher Sport, der aber unbedingt dazu gehörte.
Und es waren viele da, denn das Geld war zu knapp, um mal eben die drei Groschen Eintritt für das öffentliche Schwimmbad ausgeben zu können. Man traf Bekannte, knüpfte neue Freundschaften und sogar lebenslange Verbindungen sollen am Kanal geschlossen worden sein. Denn Eingeweihte wissen: ein Sonnenuntergang am Kanal ist mindestens ebenso romantisch wie einer auf Capri.
Mancher Leser wird in Erinnerungen schwelgen, weil er sich selber, seine Zeit und ein Lebensgefühl wiederfindet, das man längst vergessen hatte. Wer ein echter Ruhri ist, wird das intensiv spüren. Für alle anderen ist es leichte, sehr angenehme Unterhaltung, die sich in ihren kurzen Kapitel wegliest „wie nix“. Wessel verklärt nicht, er macht mit seinem Buch ein Türchen zur Wirklichkeit auf. Wie gesagt: durch und durch sympathisch. Eine Empfehlung der Musenblätter.
 
Friedhelm Wessel - „Manchmal auch in Unterbuxe“
Geschichten entlang des Rhein-Herne-Kanals
© 2012 Henselowsky Boschmann, 80 Seiten, gebunden, mit vielen Fotos und Beiträgen von Karin Boehm, Wolfgang Schubert, Lothar Lange, Manfred Hoese, Paul Reding, Norbert Hüls
ISBN 978-3-942094-29-0
9,95 €
 
Es gibt einen interessanten, sehr detailierten Artikel zum Rhein-Herne-Kanal bei Wikipedia im Internet: http://de.wikipedia.org/wiki/Rhein-Herne-Kanal
 
Weitere Informationen:  www.vonneruhr.de/