Kristalline Formen

Holzschnitte von Lyonel Feininger in der Kunsthalle Emden

von Jürgen Koller

Lyonel Feininger, Marine 1919 © VG Bild-Kunst Bonn 2014

Kristalline Formen

Holzschnitte von Lyonel Feininger in der Kunsthalle Emden
 
Was verbindet das anhaltinische Städtchen Quedlinburg mit dem deutsch-amerikanischen Maler und Grafiker Lyonel Feininger aus New York? Das verbindende Glied ist der in Quedlinburg beheimatete, ehemalige Bauhaus-Schüler und spätere Architekt und Kunstsammler Dr. Hermann Klumpp (1902 - 1987), der mit Feininger befreundet war und eine der umfangreichsten geschlossenen Druckgrafiksammlungen des Künstlers (700 Blätter) zusammengetragen hat. In mehrfacher Hinsicht ist das Wirken Klumpps zu würdigen: Zum einen bewahrte er seine Sammlung mit Feiningers Grafikwerk vor der Vernichtung durch die Nationalsozialisten, für die das Werk des Künstler als „undeutsch und entartet“ galt (378 Arbeiten Feiningers wurden von den Nazis aus öffentlichen Sammlungen konfisziert), und zum anderen sicherte er den Sammlungsbestand nach 1945 vor der rigorosen Aussonderung durch die SED-Kulturbürokratie im Rahmen der sowjetisch geprägten „Formalismusdiskussion“. Erst im Jahre 1986 besann sich die DDR auf den hohen kunsthistorischen (und materiellen!) Wert der Sammlung Klumpps und richtete in Quedlinburg die Lyonel-Feininger-Galerie ein. Seit 2006 ist diese Galerie unter Trägerschaft der Stiftung Moritzburg/Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt in Halle/Saale. Aus dieser Quedlinburger Galerie werden gegenwärtig 60 Papierarbeiten im Kontext mit einigen ausgewählten Gemälden in der Kunsthalle Emden präsentiert.
 
Lyonel Feininger (1871 in New York geboren und ebenda 1956 gestorben) kam mit 16 Jahren nach Deutschland, seine Eltern waren beide angesehene Musiker. Er studierte an der Kunstgewerbeschule in Hamburg und an der Pariser Académie Colarossi, um sich danach 1893 in Berlin als freier Illustrator und Karikaturist niederzulassen. Um 1912 lernte er die Maler der Künstlergruppe Brücke kennen und 1913 nahm er, vermittelt durch Franz Marc, am Ersten Deutschen Herbstsalon in der Berliner Galerie „Der Sturm“ teil. Feiningers erste Einzelausstellung erfolgte mitten im 1. Weltkrieg in der Sturm-Galerie. 1919 wurde Lyonel Feininger von Walter Gropius an das Staatliche Bauhaus Weimar als Leiter der Grafik-Werkstatt berufen. In einer Art Schaffensrausch erwuchs Feiningers Holzschnittwerk mit 320 Holzschnitten innerhalb weniger Jahre – vom Frühjahr 1918 bis Ende 1920 schuf er fast alle wesentlichen Drucke, allein im ersten Jahr schnitt er 117 Motive in Holz. Zum Holzschnitt angeregt wurde er von seinen Malerfreunden Karl Schmidt-Rottluff und Erich Heckel. Waren anfangs seine Holzschnitte in einem flächigen Schwarz-Weiß angelegt, so begann er rasch, vom Kubismus beeinflusst, das Gesehene in geometrisch-kristalline und abstrahierte Formen umzusetzen unter Verzicht von Halbtönen. Das Blatt „Kathedrale“ (- in der Literatur findet sich auch der Titel „Kathedrale des Sozialismus“ ) als Deckblatt für die programmatischen Leitsätze des Bauhauses gedacht, im Auftrag von Walter Gropius geschnitten, belegt das Gesagte augenscheinlich. Der Künstler sah diese Kathedrale als „Bau der Zukunft“, wo sich im ganzheitlichen Ansatz des Weimarer Bauhauses der mittelalterliche Bauhüttengedanke als Symbiose von Handwerk und Künstler wiederfinden sollte.

Lyonel Feininger, Kathedrale 1922 © VG Bild-Kunst Bonn 2014
 
Feiningers Motivspektrum kreiste um Dorfansichten, besonders Kirchtürme wurden immer wieder ins Holz geschnitten, aber auch Solitäre wie einsame Strand-Villen fanden Feiningers Interesse. Als begeisterter Radfahrer erschloß er sich die Ortschaften um Weimar. Besonders Dorf und Kirche von Gelmeroda sind in unzähligen Motivstudien, Skizzen und Holzschnitten bis hin zu Gemälden reflektiert worden. Stücke mit See- und Schiffsmotiven sind ein weiterer Schwerpunkt seines grafischen und malerischen Schaffens dieser Jahre. Die in die Ausstellung eingefügten Gemälde, so „Gelmeroda VIII“ (1921), „Kirche über der Stadt“ (1927) oder „Schärenkreuzer“ (1930) veranschaulichen die kristallinen Architekturformen bzw. die dramatische Expressivität von Feiningers Bildfindungen in meisterlicher Weise. Die interessant und spannungsvoll gehangene Ausstellung in Emden belegt, daß Feiningers Holzschnitte im Gesamtwerk des Künstlers den gleichen Stellenwert wie seine  Gemälde und Aquarelle genießen.
 
Die Ausstellung “Lyonel Feininger / Holzschnitte eines Bauhaus Künstlers“ ist noch bis zum 11. Mai 2014 in der Kunsthalle Emden zu sehen.

Öffnungszeiten:
Di. bis Fr. 10 bis 17 Uhr, Sa., So./ Feiertage 11 bis 17 Uhr;
Jeder 1. Di. im Monat 10 bis 21 Uhr (Kunstabend)
Eintritt:
Erwachsene 8 €, ermäßigt 6 €, am Kunstabend 4 €
Kinder / Jugendliche bis einschl. 15 Jahren frei
Telefon: 04921 – 975050
Info-Tel.:04921 – 97500