Taschen, Trotz und Teppiche

von Hanns Dieter Hüsch


© Jürgen Pankarz
Taschen, Trotz
und Teppiche
 
Ich wollte mir ja eigentlich heute morgen noch so’n Mozartzopf machen. Aber ich hab ja kein volles Haar mehr, nicht. Aber wenn ich noch volles Haar hätte, dann würd ich mir heut noch so’n Mozartzopf machen. Ansonsten habe ich dieser Tage versucht, `n Kreuzworträtsel zu lösen. Ja, ich weiß ja nicht, was Sie davon halten, aber immerhin, meine Frau hat gesagt: „Hier, jetzt löst du mal das Kreuzworträtsel, jetzt gibste mal nicht so schnell aufl“ Da gibt es ja Fragen, sag ich Ihnen, in der einen großen Zeitung, die kommt bei uns immer donnerstags, da ist immer so `n Magazin dabei. Die Zeitung ist ja so groß, wenn man die im Zug aufschlägt, muß der Nachbar gleich zum Zahnarzt. Vorige Woche: Zehn waagerecht, 15 Buchstaben, süße Verschwörung ohne L. Ich hab et rausgekriegt: Pflaumenkompott! Oder acht senkrecht mit elf Buchstaben, Musiker, die in einem Nest hausen. Habe ich raus gekriegt: Komponisten. 
Aber, was ich Sie eigentlich fragen wollte, ist: Sind Sie auch für schräge Manteltaschen? Da sind Sie bei mir schon unten durch! Ein Mantel mit schrägen Taschen, also unmöglich, grauenhaft. Ich habe einen Mantel, den trage ich ja bis an mein Lebensende. Kaschmir - ich bin der Frühling, sage ich immer, den muß ich bis an mein Lebensende tragen. Aber nur, weil der grade Taschen hat. Wenn der schräge Taschen gehabt hätte, wäre ich gleich aus dem Laden wieder herausgegangen. Der Verkäufer wollte mir ja so `n Ding andrehen - wie hat er immer gesagt - Raglanschnitt - hat er immer gesagt. Ich weiß gar nicht, was das ist - Raglanschnitt - mit so Epauletten oben, also nix, wer bin ich denn - Raglanschnitt, also.
Ich kann ja auch nicht haben, wenn so Teppiche oder so Teppichbrücken, wenn die so schräg gelegt wer den, kann ich auch nicht haben! Die meisten Brücken, also so Perserbrücken, sind ja schöne Dinger drunter, ohne Zweifel, wie heißen die - Isfahan oder Kasachstan - ist auch egal. Jedenfalls, die werden heutzutage alle schräg gelegt. Da können Sie hinkommen, wo Sie wollen, schräg! Ja, ich weiß auch nicht, was das für `ne dumme Angewohnheit ist. Wenn ich so `ne schräge Perserbrücke seh, also - hier oben - plemm, plemm, ne!
Wir waren neulich bei Bekannten. Bei Bekannten, vormittags, nachmittags hat´s bei denen keinen Sinn, da lag auch so `n Ding rum, schräg natürlich. Hat meine Frau gleich zu mir gesagt: „Reiß dich zusammen!“ Ich sag: „Wieso?“ „Du weißt schon warum.“ Der Teppich, das war ein Buchara oder ein Büchara. Also ich kann ja Sachen betonen, wie ich will, es ist immer falsch, immer falsch. Deswegen betone ich schon gar nix mehr. Jedenfalls, das war ein wertvoller Teppich, da ist ja immer untendrunter so ein Zettel geklebt, habe ich gleich hochgehoben. Aber wenn ich so `n schönen Teppich seh - schräg - kriege ich die Kriminoten, da krieg ich - da werde ich ramdösig, werde ich da. Ich lege ja auch meine Blätter nicht schräg, sondern immer 90 Grad. Man baut ja auch die Häuser nicht schräg. Jedenfalls, als nun die Lisbeth, also bei unseren Bekannten mal raus war, nach `m Essen gucken, da gab es, glaub ich, Dicke Bohnen mit einer Mehlschwitze. Das ist ja auch so was, das ist ja auch so was! Mehlschwitze, grauenhaft! Ich sage immer, feine Küche - Bad Salzuflen - sage ich immer. Da hab ich, als die Lisbeth jetzt mal nach `m Essen gucken gegangen war, da hab ich die Perserbrücke schnell grad gelegt. Meine Frau hat sich bald in Grund und Boden geschämt. Aber, ich halte das nicht aus, ich halte das nicht aus! Und als die Lisbeth  wieder hereinkam, hat sie den Teppich gleich wieder schräg gelegt, ohne ein Wort zu sagen, hat sie gleich noch - vor lauter Wut wahrscheinlich - in jedes Sofakissen so `n Kniff reingeschlagen. In jedes Sofakissen! Kann ich auch nicht ausstehen, so Kniffe, so Kniffe sind mir suspekt. Wenn z. B. mal ein junger Mann in einen fremden Haushalt kommt und will dort um die Hand der Tochter anhalten und sieht dann all die furchtbar vielen Kniffe in den Kissen, dem kann ich nur empfehlen, sich auf dem Absatz rumzudrehen, denn da hängt der Haussegen schief. Warum kann man die Kissen nicht einfach gerade hinlegen, und dann müssen die Kissen auch einfach nur uni sein, also von mir aus altrosa oder blaugrau oder olivgrün, also nicht so bunte, wissen Sie noch, früher gab es so skandinavische Pullover. Da waren vorne so Blumenmuster drauf da mußte man sich immer so kratzen, wissen Sie noch? Also, furchtbar! Für Apres Ski vielleicht, aber nicht für mich! Also, jedenfalls, bei mir muß alles uni sein, höchstens noch Ton in Ton, das laß ich dann noch gelten.
Ja, und dann ist die Lisbeth wieder mal nach `m Essen gucken gegangen, da hab ich den Teppich wieder grad gelegt. Und dann ist sie wieder reingekommen. Und fing dann plötzlich ganz laut an zu flöten, die hat  sich geärgert natürlich. Das hat man ja öfter, daß Menschen, die sich über was ärgern, dann nix mehr sagen, aber anfangen zu flöten. Stundenlang - und je länger, und je lauter die flöten, desto mehr ärgern die sich. Ich weiß nicht genau, wie lange die Lisbeth geflötet hat, jedenfalls - der Teppich lag grade! So daß wir jetzt endlich zu dem eigentlichen Zweck unseres Besuches kommen konnten, wir wollten nämlich für die Goldene Hochzeit von Achteraths in der Fieselstraße 34, wollten wir ein Gemeinschaftsgeschenk besprechen, so `ne große Vase für 150 Mark - ist doch verrückt, sowas! Also jeder soll sein Geschenk allein aussuchen, sage ich immer, und allein überreichen - gibt doch nur Streit. Aber die Frauen hatten sich das so ausgemacht. Also gut! Und grade, als meine Frau sagte, sie hätte bei Steinmanns im Schaufenster so `ne schöne Vase ganz aus Murano-Glas gesehen, da kamen die Kinder aus der Schul, die haben ja drei Stück. Wie heißen die alle, also Matthias, Tobias, Andreas, Thomas, die heißen heute alle gleich, die Kinder. Stefan heißt glaub ich der jüngste. Kaum, daß der jüngste durch die Tür war, da sagt der doch sofort: „Warum liegt denn der Teppich so grad, der muß doch schräg liegen?“ Ich sage: „Grade ist doch auch schön, sei doch froh, in Persien liegen die Teppiche alle grade.“ „Aber bei uns“, sagt der Osel,  „liegen die all schräg.“ Und hat tatsächlich vor meinen Augen, elf Jahre alt, vor meinen Augen den Teppich wieder schräg gelegt. Ich hab gedacht, ich hab sie nicht mehr alle! Ich krieg dann immer so `n Kribbeln in den Fingern. Und beinahe hätte ich sogar geflötet. Und als ich mir da gar keinen Ausweg mehr wußte, habe ich dann einfach gesagt: „Vielleicht ist das gar kein richtiger Perser, wenn der so schräg liegt.“ Da hätten Sie was erleben können. Die Lisbeth gleich aus dem Sessel hoch und hat gesagt, das wäre ein echter Buchara mit Zertifikation. „Ja, mag ja sein, mag ja alles sein, Lisbeth, aber die echten Perser liegen alle grade“, sage ich. „Und auch die Wandteppiche - oder hast du schon mal einen schrägen Wandteppich gesehen? Na sisste, na sisste.“ Und beim letzten „Na sisste“ hat allerdings meine Frau gesagt: „Lisbeth, es hat wohl heute keinen Zweck, mit dem kann man ja wieder mal nicht reden. Ich komme morgen früh noch mal allein vorbei.“ „Ja, das ist auch wohl besser so“, hab ich gesagt. Und dann sind wir unverrichteter Dinge gegangen. Muranovase, so `ne Quatsch. Ich bin dann ja nachmittags noch mal bei denen vorbeigegangen, und hab heimlich ins Wohnzimmer geguckt. Da lag der Teppich grade! 
 
 
 
 
© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Meine Geschichten" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Zeichnungen stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung.
Redaktion: Frank Becker