Mein großer Freund Pete (1)

Lesefundstücke aus dem früheren Leben

von Niels Höpfner

© 1951 Uta Verlag (jetzt Pabel/Moewig)
Mein großer Freund Pete (1)
Lesefundstücke aus dem früheren Leben

von Niels Höpfner
 
Tief ist der Brunnen der Vergangenheit“, raunte Thomas Mann, und in diesem Fall ist der Brunnen, um im exquisiten Bild zu bleiben, ungefähr 50 Jahre tief. Aber zum Glück gibt es ja die unerschöpfliche Wundertüte namens Internet, die auch eine erstklassige Zeitmaschine ist. Hier fand ich, was mich damals als Kind, das anfing zu lesen, glühend begeisterte: ein paar Exemplare Pete - Eine Zeitschrift für die Jugend. Ich habe sie auf der Stelle gekauft. Obwohl ich in der „britischen Besatzungszone“ aufwuchs, kannte ich als Schüler eines humanistischen Gymnasiums keine Silbe Englisch, so daß Pete für mich nie ein Piiiet war, sondern immer Pete, wie Trompete.
Im blauweißen Titelkopf der Hefte war rechts ein gemaltes Porträt von Pete: ein pausbäckig lachender, gescheitelter Blondschopf mit unheimlich gesunden Zähnen, ein keckes Halstuch umgebunden, seitlich verknotet. Hyperkritische Geister könnten im idealisierten Bild durchaus eine arisch-faschistoide Ästhetik entdecken (wie sie bei Gemälden des heutigen Nachwuchsmalers Norbert Bisky keineswegs zu leugnen ist), aber auch auf Keksdosen und Kakaobüchsen sahen Jungen seinerzeit ähnlich aus. 
 
Schundhefte?
 
Nach landläufiger Meinung handelte es sich um Schundhefte, literarisch wertlos, Groschenromane eben. Wehe, man wäre damit in der Schule erwischt worden! Sie kosteten 40 Pfennig. Viel Geld für ein Kind damals, statt Lesefutter konnte man dafür auch vier „Hefeteilchen“ kaufen (die heute selbst beim Billigbäcker Kamps mindestens drei Euro kosten). Aber es gab eine Großmutter, die sich das Geld abbetteln ließ und gern ihr Portemonnaie öffnete.
Pete's Abenteuer und Streiche -so ein Untertitel- erschienen vierzehntägig im Uta Verlag, damals ansässig in Sinzig am Rhein. Die Hefte waren noch langzeilig gesetzt und nicht in zwei Spalten, wie später bei Heftchenromanen üblich. Ihr Umfang betrug 32 Seiten, also zwei Druckbögen. Die eigentliche Geschichte war aber nur 23-24 Seiten lang und naturgemäß viel zu schnell ausgelesen, an einem einzigen Nachmittag. Dann galt es wieder, ungeduldig zwei Wochen zu warten, bis ein neues Heft erschien- wie lang zwei Wochen sein können! Das Suchtpotential war erheblich.
Der Rest des Heftes war aufgefüllt mit angeblich Wissenswertem für Kinder, zum Beispiel wurde aus der „Geschichte der Wolkenkratzer“ berichtet oder „Lernt Deutschland kennen: Idar-Oberstein“. Unverkennbar Bildungsabsichten, denn die Redaktion der Pete-Hefte hatten zwei Akademiker: ein Dr. Isert und ein Dr. Richter, letzterer ist bei Nr. 50 schon abhanden gekommen. Wahrscheinlich waren es diese Herren auch (und andere), die unter offensichtlichen Pseudonymen wie Rolf Randall, Broderick Old oder Frank Dalton selbst die Geschichten schrieben, die von mir so heiß geliebt wurden.
 
Kult und Pete-Gruppen
 
Aber nicht nur von mir. Auch von zahllosen anderen kleinen Jungen im Lande (für Mädchen, pah, gab's die Gaby-Hefte). Pete war unter

© 1952 Uta Verlag (jetzt Pabel/Moewig)
Jungen geradezu KULT: schon bei Heft 80 existierten im westlichen Nachkriegsdeutschland 989 Pete-Gruppen. Das waren weniger Fan-Clubs als pfadfinderähnliche Kleingruppierungen, deren Mitteilungen hinten im Heft auch gern gedruckt wurden. So etwa eine Nachricht aus Heselerfeld (Ostfriesland): Die Gruppe von Klaus Higgen besteht aus zehn PETE-Jungen zwischen 12 und 14 Jahren. Briefwechsel mit anderen PETE–Gruppen wird gewünscht. Die Gruppe hat sich dadurch einen guten Namen gemacht, daß sie Bedürftige mit Brennmaterial für den kommenden Winter versorgt. Den armen Leuten zu helfen, hat sich die Gruppe zur Pflicht gemacht. Leider gab es keine Pete-Gruppe in meiner Nähe (und ich selbst war gründungsunfähig), aber die Kinderabteilung des CVJM bot mir Asyl.
Immerhin war ich Mitglied beim Pete-Bund, ein ideelles Mitglied, sozusagen: Dem PETE-Bund kann jeder Junge beitreten. Kosten sind mit der Mitgliedschaft nicht verbunden. Die Mitgliedskarte sendet gegen Beifügung von 7 Pf Rückporto der PETE-Bund beim Verlag. Ja, so eine Mitgliedschaft, schwarz auf weiß, war toll fürs Kind, die liebte es sehr.
Damals hatte das alles noch wenig mit Marketing zu tun: beileibe keine hinterhältige Bindung unmündiger Leser, eher ein Sicheinlassen auf kindliche Wünsche- die Geborgenheit der Gruppe, wie anonym und vage auch immer sie war. Wandervogel grüßte von fern, nach der gräßlichen Nazi-Pimpferei.
 
Der Bund der Gerechten
 
Obwohl in den Pete-Heften niemals die moralische Keule geschwungen wird, transportieren sie unüberlesbar Moral- was ja a priori nicht schlecht sein muß (vielleicht auch etwas Mief der Law-and-order-Mentalität der Adenauer-Ära: durch Otto Schily seinerzeit überraschend wieder aktuell). Als Beispiel taugt Heft Nr. 41 aus dem Jahr 1953, betitelt Der Bund der Gerechten. (Sicher ist die historische Dimension des Titels Zufall: Deutsche Handwerker gründeten 1836 in Paris den „Bund der Gerechten“, aus dem 1847 der „Bund der Kommunisten“ hervorging.)
Die epischen Verhältnisse sind bereits auf Seite eins restlos geklärt- wie es sich für ordentliche Trivialliteratur gehört: Im Somerset-Distrikt von Arizona existierte ein geheimes Nachrichtensystem. Wenn sich jemand die Mühe gemacht hätte, den Weg zu verfolgen, den die höchst merkwürdigen Botschaften nahmen, so würde er festgestellt haben, daß sich die Zentrale –wo alle Meldungen abgestempelt, registriert und ausgewertet wurden- auf der Salem-Ranch befand.
Der Begründer und Chef dieses ausgedehnten Spionagesystems, das sich bis auf die entlegensten Ranchs erstreckte, war ein Junge von knapp siebzehn Jahren- rotblond, mit lustigen Sommersprossen um die Nase und versehen mit einem etwas verdrehten Sinn für Spaß und Humor.

© 1953 Uta Verlag (jetzt Pabel/Moewig)
Pete Simmers und dessen anmutige Schwester Dorothy, welche nach dem Tod ihrer Eltern die Salem-Ranch unter Aufsicht des alten Vormannes Dodd bewirtschafteten, unterhielten seit einiger Zeit eine Brieftaubenzucht; eine der vielen Liebhabereien Petes, die vor allem dem Zweck diente, eine rasche Nachrichtenübermittlung zwischen den einzelnen „Agenten“ und der Zentrale zu ermöglichen.
 
Gut und Böse – Klare Sache
 
Diese „Agenten“ waren nun nicht etwa finstere, mit Revolver und Dolchmesser bewaffnete Burschen- nein, es handelte sich ausschließlich um vergnügte und durchaus anständige Rancherbuben im Alter zwischen zehn und sechzehn Jahren. Diese Jungen gehörten zum „Bund der Gerechten“- eine Vereinigung, welche sich zum Ziel gesetzt hatte, armen und hilfsbedürftigen Menschen zur Seite zu stehen, die sich aber andererseits auch nicht scheute, unliebsamen Zeitgenossen mit oft sehr drastischen Mitteln und unter meist recht dramatischen Begleitumständen auf die Zehen zu treten.
Wenn im Somerset-Distrikt ein Mann sein Pferd brutal mißhandelte, wenn ein notorischer Trinker seine Frau verprügelte und seine Kinder hungern ließ- oder wenn sich jemand irgendeiner ausgesprochenen Gemeinheit schuldig machte, die nach dem Gesetz zwar nicht bestraft werden konnte, aber nach natürlichem Empfinden Strafe verdiente- dann trat der „Bund der Gerechten“ auf den Plan; selbstverständlich nach sorgfältiger Erwägung aller Bedingungen und der Vorgeschichte, welche zu der betreffenden „Tat“ geführt hatte.
 
 
Lesen Sie morgen an dieser Stelle Teil 2 der humorvollen Analyse
 
Redaktion: Frank Becker