Rhein und wahr

Aus dem Tagebuch

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Sonderbare Märchen
und neue Feiertage


8. Dezember: Sonderbares Märchen. Es waren einmal zwei Strümpfe, die hießen Ruth und Lutz. Ruth war ein rechter Strumpf und Lutz ein linker. Man konnte sie gut auseinanderhalten, da in Ruth ein R und in Lutz ein L gestrickt war. Sie verbrachten viel Zeit zusammen, konnten sich aber nie sehr nahe kommen, weil ihr Träger einen breiten Cowboygang bevorzugte. Manchmal kamen sie sich etwas näher, wenn ihr Träger die Beine über einander schlug. Das war eine Freude. Plötzlich passierte es. Ruth liebte Lutz und Lutz mochte Ruth sehr gern. Sollte diese Fernbeziehung schon das Höchste der Gefühle bedeuten? Eines Tages trafen sie sich wieder in der Waschmaschine. Das war ein wirbelndes Zusammensein in Saus und Braus. Kein Wunder, daß später im Trockner ein kleiner Socken gefunden wurde, von dem niemand wußte, woher er kam.
 
10. Dezember: Ausgesperrt. Roland hatte sich ausgesperrt. Er stand vor der zugefallenen Tür und kam nicht herein. Erst wußte er nicht, was er machen sollte, dann schaute er sich um. Kinder spielten mit dem Ball und winkten ihm zu. Die Sonne schien über Paderborn und er pfiff ein Lied. Plötzlich stand Merle vor ihm. Merle wohnte nebenan und hatte noch nie mit ihm gesprochen.
„Was machst Du hier?“, fragte sie.
„Ich habe mich ausgesperrt“, stammelte Roland.
Immer ,wenn er Merle sah, bekam er keinen Satz heraus, weil sie so schön war.
„Willst du zu mir kommen und einen Kakao trinken?“, fragte Merle. „Du kannst bei uns warten, bis deine Mutter nach Hause kommt und die Tür aufschließt.“
Roland nickte. „Das muß die Freiheit sein“, dachte er. Er beschloß sich öfters auszusperren.
 
11. Dezember: Bald gibt es einen neuen Feiertag. Im Januar begehen wir gemeinsam den Tag des Winterschlafs. Da dürfen alle so lange schlafen wie sie können, und später wird gemeinsam und ganz lange gefrühstückt.
 
13. Dezember: Der Junge, der immer alle beschimpfen mußte, sprach zum Glück so undeutlich, daß niemand etwas mitbekam. Er war nämlich nicht sehr stark.


© 2013 Erwin Grosche für die Musenblätter
Redaktion: Frank Becker