Mozartkugeln süßsauer

Zwiespältiger Mozart-Ballett-Abend am Düsseldorfer Haus der Rheinoper

von Peter Bilsing

Mozartkugeln süßsauer

Zwiespältiger Mozart-Ballett-Abend am Düsseldorfer Haus der Rheinoper

 

Premiere in Düsseldorf war gestern, am 26.10.2007

Inszenierung, Einstudierung und Ausführende:

Requiem
Musik: W. A. Mozart / Richard Rentsch
Choreographie: Petr Zuska  -  Bühne: Jan Dušek  -  Kostüme: Keso Dekker  -  Chor: Gerhard Michalski   -  Gesangssolisten: Sopran: Romana Noack  -  Mezzosopran: Katarzyna Kuncio
Tenor: Fabrice Farina  -  Bass: Stefan Heidemann
Es tanzen: Eriko Yamashiro, Valerio Mangianti, Suzanna Kaic, Filip Veverka, Andrea Kramesova, Cesar Locsin, Kaori Morito, Armen Hakobyan, Corps de Ballet der Deutschen Oper am Rhein

Petite Mort
Musik: W. A. Mozart, Klavierkonzerte KV 488 und KV 467
Choreographie: Jiri Kylián  -  Kostüme: Joke Visser
Es tanzen: Suzanna Kaic, Andrea Kramesova, Kaori Morito, Miho Ogimoto, Colleen Swihart, Eriko Yamashiro, Florent Cheymol, Armen Hakobyan, Valerio Mangianti, Michal Matys, Filip Veverka
Klaviersolistin: Cécile Tallec

Sechs Tänze
Musik: W. A. Mozart, Sechs deutsche Tänze KV 571
Choreographie: Jiri Kylián  -  Bühnen und Kostüme: Jiri Kylián
Es tanzen: Ann-Kathrin Adam, Hayley Macri, Makiko Takii, Tina Vasilaki, Gabor Anosi, Andriy Boyetskyy, Cesar Locsin, Bartek Dybowski

Martin Fratz dirigiert die Düsseldorfer Symphoniker.

Mozarts Reqiem zertanzt

Sehr treffend nimmt (sicherlich unfreiwillig) der Programmheft-Aufmacher: „MOZART? MOZART!“ und das passende Produktionsplakat schon den späteren Eindruck dieses ballettösen Spätmozartmemorials vorweg. Der Rezensent will sagen: gähnende Langeweile im ersten und ein sensationeller Abschluß im viel zu kurzen zweiten Teil des Premierenabends, der gestern im nicht ausverkauftem Düsseldorfer Haus der Rheinoper stattfand.

Mozarts Requiem vertanzt. Wer kommt auf so eine Idee? Antwort: Petr Zuska – renommierter Ballettchef des Prager Nationaltheaters, der das Werk schon zum Mozart-Jahr 2006 für sein Haus choreographiert hatte. Es gibt wahrscheinlich, so meine Meinung, kaum eine weniger passende Musik für eine große Choreographie als dieses Werk. Noch dazu, wenn es so lieblos heruntergespielt und mittelprächtig gesungen wird wie in Düsseldorf unter Martin Fratz von den völlig uninspiriert klingenden Düsseldorfer Symphonikern. Als wenn das an sich nicht schon schlimm genug wäre, wurde uns auch noch ein neu komponierter Schluß offeriert.

„Unser Requiem ist vor allem sehr außergewöhnlich in seiner musikalischen Substanz“, erklärt Zuska. „Die Teile, die Mozart nicht mehr vollenden konnte, erklingen nicht in Ergänzung durch seinen Schüler Franz Xaver Süßmayr, sondern sind vom zeitgenössischen Schweizer Komponisten Richard Rentsch zu Ende geführt worden. So eröffnen sich uns zwei Welten: jene des langsam sterbenden Wolfgang Amadeus und jene, die zwei Jahrhunderte später durch eine andere musikalische Persönlichkeit hinzugetreten ist.“ In seinem Requiem sieht Zuska daher keine große Gedächtnismesse für die Toten, sondern das stets wiederkehrende Pulsieren des menschlichen Daseins und dessen Seele. Für die Düsseldorfer Premiere hat der niederländische Kostümbildner Keso Dekker ebenfalls wenig überzeugende Kostüme entworfen.


"Requiem" - Foto © Deutsche Oper am Rhein

Gehobener Knabe - geschobenes Klavier

Doch Zuska, der u.a. für extreme Bewegungen und virtuose Spreizsprung-Kombinationen bekannt ist, erzählt keine Geschichte. Es geht ihm, wie verlautet, um Gefühle und Visionen. Im Zentrum der Bühne und der stets wiederkehrenden althergebrachten neo-klassischen Bewegungs- und Tanzmuster steht ein transparentes Klavier - was auch sonst? Überflüssigerweise tritt auch noch ein kleiner nichttanzender Mozart-Bengel oder -Engel auf, wird wenig sinngebend aufs Klavier gehievt, darf mal darüber tippeln, wird wieder runtergehoben, traversiert die Bühne, wird öfter auch mal getragen, dann wieder angehoben usw. Im Weiteren gibt es dann auf der öden Bühnenleere beträchtliche Veränderungen: das Klavier wird jetzt nicht mehr nur umtanzt, sondern im „unendlichen Raum für die Seele“ verblüffend hin- und hergeschoben. Spiegelungen durch raffinierte Lichtregie schaffen unverhoffte Abwechslung. Wenn das Stück nach gefühlten 5 Stunden endlich zu Ende ist, ist in Realzeit glücklicherweise erst deren eine vergangen. Der milde säuselnde Beifall des Premierenpublikums konnte auch durch die Hausclaqueure nicht zum ansonsten bei Vamos´ Rheinopern-Balletten obligaten Akklamationsfuroiso gesteigert werden.

"Petit Mort" und "Sechs Tänze"

Ganz anders der zweite Teil des Abends: hier war mit Balletten des bereits legendären Jiri Kylián Emotionalität pur angesagt. Er bewies mit den zwei leider nur relativ kurzen Produktionen (Gesamtdauer keine 30 Minuten) überzeugend, warum er nicht zu Unrecht vom Düsseldorfer


"Petit Mort" - Foto © Deutsche Oper am Rhein
noch-Ballettdirektor Jouri Vamos für die Nummer Eins weltweit unter den Spitzenchoreografen gehalten wird. Kylian, * 1949 in Prag, reifte nach seinem Studium an der „Royal Ballet School London“ unter dem Einfluß von John Cranko über das Stuttgarter Ballett, dann später kursbestimmend auch beim Nederlands Dans Theater zu einer internationalen Choreografen-Legende. Auf teilweise surrealistisch humorvolle Art durchbricht er, voller Inspiration eigentlich alle klassischen und modernen Tanzregeln. Intelligent wie hintergründig, manches fast slapstickartig, choreographiert er geradezu mit spitzbübisch schwarzem Humor und inszeniert meist ebenso atemberaubend bewegungsskurril wie technisch brillant. Vor 16 Jahren gründete Jiri Kylián sogar eine Compagnie für Tänzerinnen zwischen 40 und 60, die weltweit Furore machte. Man könnte sagen, in Kyliáns tanzhistorischem Lebenswerk ist schon heute die Leistung manifestiert, daß er den Humor ins moderne Tanztheater (ähnlich van Manen) gebracht hat. Seine Stücke sind immer eine ganz große Herausforderung an die Tänzer. Heuer nun an der Rheinoper „Petite Mort“ und „Sechs Tänze“.

Technisch perfekt und von hintergründigem Humor

Zum 200. Todestag von Wolfgang Amadeus Mozart schuf Jiři Kylián 1991 für die Salzburger Festspiele die Choreographie „Petite Mort“ unter Verwendung der langsamen Sätze aus Mozarts Klavierkonzerten (KV 488 und KV 467). Der Titel des Balletts, eigentlich ‚kleiner Tod’, heißt umgangssprachlich nichts anderes als „Orgasmus“. Aggression, Sexualität, Energie, Stille und


"Sechs Tänze" - Foto © Deutsche Oper am Rhein
Verletzlichkeit finden Gestalt in dieser Choreografie, die sechs Tänzer und sechs Tänzerinnen und sechs Florette vereint. Anläßlich der Uraufführung schrieb die Kritik: „Zum Adagio aus Mozarts Klavierkonzerts in A-Dur verschmelzen Kylians Paare in einer Choreografie, die wie ein inniges, und doch dezentes Bild einer lange nachklingenden Erregung stehen bleibt.“

Die UA der „Sechs Tänze“ fand bereits 1984 im Nederlands Dans Theater statt, hat aber auch so viele Jahre nach ihrer Entstehung nichts von ihrem pointierten Witz verloren. Kylians situativer Überrumpelungswitz und seine oft surrealen Tanzfiguren laufen nicht nur in Blitzesschnelle (mancher Tanz dauert keine zwei Minuten) ab, sondern sind schwer in Worte zu fassen, zumal man dann dem künftigen Zuschauer auch die überraschende Auflösung verraten und viel Theaterspaß verderben würde.

Mozartfreude pur

Kaum zu glauben aber wahr: Selbst die anfangs so tranig aufspielenden Düsseldorfer Symphoniker unter der Leitung von Martin Fratz schienen wie ausgewechselt. Ein quicklebendiger auf den Punkt dirigierter Mozart mit einer superben pianistischen Glanzleistung von Cècile Tallec. 25 Minuten pure Mozartfreuden. Mozartkugeln vom feinsten!
Ich muß es wiederholen: schade, schade, schade - daß diese zauberhafte 2.Teil dieses zwiespältigen Mozart-Ballett-Abends nur so kurz war. Mein wiederholt in den furiosen Schlußbeifall gerufenes „Dacapo!“ wurde leider nicht befolgt. Der Riesenapplaus von Düsseldorfs enthusiasmierten Ballettfreunden enthielt die unüberhörbare Forderung: „Wir wollen demnächst unbedingt mehr von diesem Kylian sehen!“

Die Rheinopern-Compagnie zeigte unwidersprochen in allen drei Stücken, daß sie sowohl solistisch als auch in der Ensemble-Leistung zu den besten deutschen Truppen gezählt werden muß - erscheint mir aber in dieser Saison auch mit Blick voraus etwas unterfordert.


Weitere Informationen unter:
www.rheinoper.de sowie unter www.deropernfreund.de