„Saurier, Mammuts und Menschen“

GrIngo Lahr - „Zeitenw(ä/e)nde. Gedichte“

von Wolf Christian von Wedel Parlow

„Saurier, Mammuts und Menschen“
 
Über GrIngo Lahrs Zeitenw(ä/e)nde
 
Unter den Besuchern einer Werkstattlesung dreier Wuppertaler AutorInnen kam kürzlich die Diskussion auf, ob Wuppertal wohl eine Literaturstadt sei. Dafür werde in der Stadt zu wenig gelesen, vor allem die Hervorbringungen der Wuppertaler AutorInnen würden zu wenig gelesen, war der ernst zu nehmende Einwand gegen die Anheftung solchen Ehrentitels. Dennoch ist es immer wieder erstaunlich, wie viele unerkannte schriftstellerische Begabungen in der Stadt ihr Zuhause haben. Und wenn sich dann eine von ihnen drängen läßt, den Schritt zunächst in eine der im Stillen wirkenden Wuppertaler Literaturvereinigungen zu wagen, geht durch die Runde bald das Geraune: „Der kann was!“.
Zu den Dränglern zählt der Wuppertaler Kunstmäzen Hans Peter Nacke, der die Stadt über lange Jahre mit der Galerie Epikur erfreute und sie seitdem regelmäßig mit der Herausgabe des Kulturmagazins „Die Beste Zeit“ beschenkt. Jetzt hat er einem dieser allzu lange im Dunkel bleibenden Autoren einen Stups gegeben, indem er eine Auswahl seiner Gedichte verlegte. „Zeitenw(ä/e)nde“ heißt die Auswahl und ist mit 18 mal 27 cm ein dem Buchmaß quart angenähertes, sich äußerlich vornehm gebendes achtzehnseitiges, bibliophiles Heft.
 
Schon auf der ersten Seite muß der Leser sich beeilen, mit den Zeitenwenden mitzuhalten: Barden und Maiden/besingen die Liebe/auf Schallplatten/die jetzt nicht mal mehr CD heißen/sondern MP 3/in den alten Liedern/sind die Stimmen der Sänger jung/und sehnsuchtsvoll/mittlerweile graben die Bagger/die Gräber einiger Sänger bereits wieder um/...
Wehmut erfüllt den Dichter beim Blick in vergangene Zeiten, aber dicke Wände versperren den Weg dorthin zurück. Auch die Gegenwart ist nicht rosig: Bürokomplexe mit riesengroßen/“Neu zu Vermieten“-Schildern, deren Schrift/aber schon ausgebleicht ist/von der Sonne vergangener Sommer/... Denn soweit noch Büroarbeitskräfte benötigt werden, sitzen sie zuhause vor ihren Computern. Ist es deswegen, dass Straßen still und leer/wie die Augen eines/Skelettschädels im Staub/... ? Der einzige Trost: Im Heidekraut auf dem Balkon/singt eine frühe Amsel.
GrIngo Lahr heißt der 1970 in Leverkusen geborene Dichter dieser herben Verse, mit einem großen I, was immer sich dahinter verbirgt. Ja, es geht herbe zu in seinen Gedichten, auch im letzten hier abgedruckten, dem Lahr die bedrückende (oder spöttische?) Überschrift Saurier, Mammuts und Menschen gegeben hat: .../In uns/Seelen die furchtlos/aufbrechen wollen/um das Licht des Neuen/zu atmen/so wie Kinder/.../als hätten sie glückliche/Eltern/was ihnen erlaubt/glücklich erwachsen zu werden/.../so zerren in uns die/kranken und die gesund werden wollenden Seelen/während wir jeweils als ein Mensch/erscheinen/in ganzen Sätzen sprechend/... Das betrifft uns, Sie und mich.
 
Es ließe sich noch einiges zur Form dieser Gedichte sagen, die ja ganz ohne Versmaß auskommen, ohne Reim sowieso. Klassische Form hätte dem leicht daher kommenden Inhalt geschadet, glaubt der Rezensent, hätte ihm eine gravitätische Note verliehen, die äußerlich bliebe. Spielerischer Umgang mit dem Zeilenumbruch, leicht gemacht durch die Enter-Taste der Computer-Tastatur, ist das einzige Mittel, dessen sich der Dichter bedient.
 
GrIngo Lahr - Zeitenw(ä/e)nde. Gedichte
2013 Verlag HP Nacke, 18 Seiten, geheftet, ohne Preisangabe
 
Redaktion: Frank Becker