Die Bilder zum Tanzen bringen

Film mit Livemusik: „Movie in Motion“ zeigt Filmklassiker „Der Mann mit der Kamera“

von Daniel Diekhans

Foto © Mark Tykwer
 
Die Bilder zum Tanzen bringen
 
Film mit Livemusik: „Movie in Motion“ zeigt Filmklassiker
„Der Mann mit der Kamera“
 
Die Kamera ist überall. Gleich zu Beginn des Films thront sie über den Dächern der Stadt. Sie fährt auf dem Motorrad durch Gassen und Straßen. Braust im offenen Wagen der Feuerwehr hinterher. Ihr treuer Begleiter ist der Kameramann. Geduldig trägt er sie von einem Schauplatz zum nächsten. Erklettert mit ihr einen Fabrikschlot. Fährt mit ihr unter Tage. Zusammen bilden sie eine unzertrennliche Einheit.
 
„Der Mann mit der Kamera“ ist ein Stummfilmklassiker. Dziga Vertovs Werk, 1929 uraufgeführt, zeigt den Alltag in der jungen Sowjetunion. Meisterhaft montiert der Regisseur Bilder der Metropolen Moskau, Kiew und Odessa. Nichts Menschliches ist seiner Kamera fremd. Anders jedoch als Walther Ruttmanns „Berlin – Sinfonie der Großstadt“ (1927) geht es hier nicht um das objektive Registrieren von Wirklichkeit. Neben seinen dokumentarischen Qualitäten ist „Der Mann mit der Kamera“ auch ein faszinierender Film über das Filmemachen. Seine Handlung beginnt und endet im Kinosaal. Eigentliche Hauptfigur ist der Kameramann Michail Kaufman, den der Zuschauer bei der Arbeit beobachtet. Am Schneidetisch ist Cutterin Jelisaveta Svilova zu sehen. Sogar die Kamera hat ihren großen Auftritt als bizarres Insekt, dessen Stativbeine mit allen Tricks der Filmkunst zum Tanzen gebracht werden.


Foto © Mark Tykwer
 
Durch seinen poetischen Realismus fällt „Der Mann mit der Kamera“ aus dem Rahmen. Es braucht einen besonderen Ort, um ihn zu zeigen. Mark Tykwer, Organisator des Wanderkinos „Movie in Motion“, präsentierte den Ausnahmefilm am vergangenen Samstag in der Wuppertaler Galerie OLGA. Für Tykwer war dieser Abend eine echte Herzenssache, denn vor zwei Jahren mußte eine Open Air-Vorführung des Films wegen schlechten Wetters abgesagt werden. Außergewöhnlich war auch die Musik, die das Geschehen auf der Leinwand begleitete. Charles Petersohn und Rolf Springer wollen die atmosphärisch dichten Bilder nicht einfach verdoppeln. Sie setzen vielmehr auf starke Kontraste. Schnellen Schnitten begegnen sie mit locker gewebten Loops und verhallenden Akkorden. Verlangsamt sich der Bilderfluß, kommt die Musik in Fahrt. Springer sorgt mit Wah-Wah-Pedal und anderem Zubehör für druckvolle Gitarrenlinien. Petersohn entlockt seinen Keyboards eine schillernde Vielfalt an Sounds. Ein Vibraphon verwandelt sich in ein Akkordeon. Wassergeplätscher geht in den Lärm einer Menschenmenge über. Auch der Humor, der im Film immer wieder aufblitzt, findet musikalischen Ausdruck. Süßliche Melodien werden durch die elektronische Mangel gedreht. Springers Saxophon unterlegt die Hafenszenerie mit dem mächtigen Tuten einer Schiffssirene. Dziga Vertovs Film bringt den Alltag zum Tanzen. Das Duo Petersohn und Springer macht seinen Bildern Beine. Für den Zuschauer ist es ein doppeltes Vergnügen.


v.l.: Charles Petersohn, Mark Tykwer, Rolf Springer - Foto © Mark Tykwer
 
Weitere Informationen unter: www.movieinmotion.de