Arztbesuch

Ein salubriler Monolog

von Horst Wolf Müller

Hippokrates von Kós (460-370 v.Chr.)

Arztbesuch


Mertes liegt auf der Liege des Arztes, wurde soeben abge­tastet. Der Arzt begibt sich an den Schreibtisch und beginnt dort zu schreiben.

Mertes: Und wie ist die Frontlage, wie man so sagt ? Han Se nix jefunde, Herr Doktor?  Wissen Se, ich hatt mir et auch schon gedacht, daß dat eigentlich nix Gravierendes is, genauso, wie dat letztes Jahr mit meinen Atembeschwerden kein richtiger handfester Befund war.

Arzt: Sie können sich wieder anziehen.

Mertes: Ich beobachte mich jetzt schon etliche Jahre, hab ich ein Auge auf meinen Körper und seine gewissen Intentionen, da entgeht mir so gut wie nix. Und ich glaub, dat imponiert dem. Dat kennt der nit von mir, dat ich ihn so quase an die kurze Leine nehme, wo ich doch früher überhaupt nicht gewußt hatt, wat dat is, der Körper, Körper und Seele, dat war doch früher­ - wie soll ich sagen, die waren ein Herz und eine Seele. Ja, su  redt man.  Aber er is nicht mehr, was er einmal war. Er zwackt emal hier und emal da, erlaubt sich da praktisch diese Sympto­me, kennen Se ja, kennt ja jeder heute, diese unbeliebten Symp­tome, hett jeder. Aber ich will emal so sagen: et is nix da­hinter!

Er schickt mir seine Symptome, und wenn ich die dann zu Ihnen bring und er muß sich auch noch unter dem Auge des Röntgenschirmes verantworten, dann geht ihm, auf Deutsch gesagt, die Luft aus. Davon hab ich ihn im Verdacht!
Er is mir manchmal trotzdem unheimlich, muß ich Ihnen sagen. Et gibt kaum eine Stelle, wo ich nit schon emal gewisse Be­schwerden gehabt hätt. Und wenn ich dann immer denk, ich kenn die Stellen, ich weiß, wo er mich drankriegt, dann kommt er et nächste Mal wieder von ganz wo anders.

Nehmen wir bloß emal den Hexenschuß, dat war ne echte Schuß vor de Bug. Ich dacht wirklich, jetzt ist dein Stündlein ge­kommen, du bist an den Stock gefesselt für den Rest deiner Tage. Aber von wegen. Drei vier Zäpfchen, eine Woche Gymna­stik mit dieser Hüftschaukel da, jet jeschwumme, und er gibt keinen Mauz mehr von sich. Und et Jahr drauf packt er mich im Hals, aber fragen Se nicht wie! Sie sind ja kein Hals-Nasen-Ohren-Arzt, sonst wär ich ja zu Ihnen gekommen, aber so mußt ich einen andern ranlassen, dat Spiel kennen Se ja. Man braucht, wenn man nicht beständig is in seinen Krankhei­ten, bestimmt zehn Ärzte. Und dat fällt dann praktisch su aus, dat einer die Symptome verjagt und der andere kriegt se. Ja, is et nit esu ? Sie als Internist haben et noch gut, denn intern ist ja das meiste, und dat sieht man alles nicht. Da kann man nur spekulieren. Drum geht et bei Ihnen auch immer am geheimnisvollsten zu. Wenn man schon Ihre Assistentinnen da all sieht, wie die rumlaufen und tuscheln, und man weiß nit, ob die sich über deine Leber unterhalten oder über deine Bauchspeicheldrüse, dat is schon ne schöne Krimi. Ja, Sie lachen!

Gegen die Chemie sind ja die meisten Symptome machtlos, da gehen die laufen. Würd ich auch tun. Wissen Se, ich hab emal ne pharmazeutische Fabrik besichtigt, da träumen Sie hinter­her wochenlang von diesen Kügelchen und Stäbchen, in allen Regenbogenfarben.
Herr Doktor, im Vertrauen gesagt, et gibt doch da diese Kräu­terfrauen, man holt se jetzt wieder aus ihren Verstecken. Dat is meiner Meinung nach nit bloß ein Kostendämpfungsgesichtspunkt, sondern die Leute werden echt pillenmüde. Und auch dat viele Röntgen, ich will Sie jetzt nit persönlich verdächtigen, dat dat ein Hobby von Ihnen wäre. Die anderen wieder schnallen dir diese Elektroden an den Kopp, ob die Gehirnströ­me es vielleicht wagen, dat se da Kapriolen schlagen. Wissen Se, wat ich glaube? Der Körper merkt sich dat alles, wat Se mit ihm veranstalten, und dann wird der nachtragend. Denken Se, ich hätt damals diesen Spiegel da runtergebracht? Nit emal unter Narkose. Der wollt dat Dingen nit han, der. Wissen Se , wat die aal Sauerampfer-Lina mit meinem Magen gemacht hett? Die hett mit dem gesprochen. Die hett Tacheles mit dem geredet, aber energisch, war se am Schänge. Und dat half!  Wir woren alle richtig kregel hinterher.

Nit, dat ich Ihnen sagen will, Sie sollen et machen wie die Lina, können Se ja nit, Sie müssen ja auch noch auf Ihr Ethos achten. Aber stellen Se sich bloß emal vor, Sie wür­den anfangen mit Wunderheilungen. Keine Tabletten, keine Anwendungen, keine Röntgbi1der, keine Kurzwellen , nix, bloß: steh auf und wandle. Kostendämpfend. Kostelos. Wat dat für ein Skandal wär für die Ärzteschaft und die Industrie, dat ging rauf bis zum Dämpfungsminister. Is doch unmöglich!

Arzt: Das ist Ihr Rezept.
Mertes: Aha. Und dat soll ich schlucken? Zerkauen?
Arzt: Unzerkaut schlucken. Und dabei auf der Seite liegen.
Mertes: Aha. Und dat andere?
Arzt: Auftragen. Nicht einmassieren. Einziehen lassen. Trocknen lassen. Nicht abkratzen. Klar?

Mertes: Klar dat. Klar tu ich dat. Ich gurgel auch im Kopfstand, wenn Se dat von mir verlangen. Tschö, Herr Doktor.



© Horst Wolf Müller - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2007