Krakau

(Krysztof Penderecki)

von Konrad Beikircher
 
Konrad Beikircher - Foto © Frank Becker
Krakau
(Krysztof Penderecki)
 
Wenn eine Stadt einen Komponisten wie Krysztof Penderecki hervorbringt (er ist zwar nicht in Krakau geboren aber er hat dort studiert und das Zentrum seines Lebens gefunden und dort am 29. März dieses Jahrs gestorben), dann langt das erstmal für ein paar Jahrhunderte Ruhm, wenn nicht für ewigen. Für mich war und ist er einer der ganz Großen der zeitgenössischen Musik.
Eine der spektakulärsten Uraufführungen der Neuen Musik war gleichzeitig das musikalische Erlebnis, das mein Verhältnis zu ihr bis heute geprägt hat: die Uraufführung der Lukaspassion von Krysztof Penderecki im Dom zu Münster am 30. März 1966.
       Ich war damals Psychologie-Student in Bonn. Natürlich war ich nicht in Münster bei der Uraufführung, ich hätte damals glaube ich noch gar nicht gewußt, wo Münster ist, obwohl ich schon wußte, was die dort in Münster mit den Wiedertäufern angestellt hatten. Aber das ist eine andere Geschichte. Ich saß jedenfalls an einer für die Ausbildung zum Psychologen extrem wichtigen Seminararbeit über das Thema “Die Eirollbewegung der Graugans auf dem Hintergrund des Lorenz’schen Triebmodells” für Herrn Dr. Leyhausen, einem Tierforscher und Konrad Lorenz-Schüler, der einmal sagte, gegen die Expressivität der Laute einer Katze in der Rolligkeit sei die V. Sinfonie von Beethoven kastriertes Gesäusel, und quälte mich wie gesagt mit irgendwelchen Aufsätzen dazu ab, als im WDR 3, damals schon mein bevorzugter Sender, die Übertragung der Lukaspassion kam.
       Ich hatte bis dahin zwar schon einiges an Neuer Musik gehört und mich immer - wie ich dachte - sehr dafür interessiert. Immerhin hatte ich mir die drei Tientos für Gitarre von Hans Werner Henze ‘draufgeschafft’ und sie auch gemocht und vieles andere mehr.
Die Lukas-Passion von Penderecki aber war ein Erlebnis, das mich verändert hat. Daß es nur ein kleines Transistorradio war, das ich mir vors Ohr hielt um keinen Ton zu versäumen, war egal, daß ich die Baßtöne nur ahnen konnte, die hohen Töne mir die Ohren zersägten, ein Raum gar nicht zu hören war und das Ganze höchstens eine schlechte Schwarz-Weiß-Kopie des Originals sein konnte - was spielt das für eine Rolle, wenn Dich ein wirkliches Kunstwerk in der Seele trifft.
Eineinhalb Stunden habe ich nicht geatmet, habe die Brücke zu meinem vergötterten Bach gespürt in einer musikalischen Sprache, die die meine war, ich war erschüttert, bewegt, ergriffen von einem Kunstwerk, das für mich zu den größten dieses Jahrhunderts gehört. Angesichts dieses Kunstwerks bedaure ich - beinahe - nicht mehr, daß die Bachsche Lukas-Passion verloren gegangen ist.
Bei dem ganzen Fetischismus um CDs und High Fidelity und diesem ganzen Gerenne um sogenannte Ohrentreue denke ich immer an dieses Erlebnis. Wie unwichtig ist das doch alles, wenn Du vor einem Werk stehst, dessen Inhalt Dein Leben verändert. Wenn nur noch die Form stimmt, der Inhalt aber vernachlässigt ist - wie wir es ja oft genug erleben - dann ist das doch alles, wie Johann Sebastian Bach schon sagte, „teuflisch Geplärr“.
       Was muß es für ein Erlebnis für die Sängerinnen und Sänger gewesen sein, ein Werk uraufzuführen, das sich sicher schon in den Proben, erst recht aber bei der Uraufführung als ein Jahrhundertereignis zeigte?
Ich kann Ihnen nicht sagen, wie ich die Musiker von damals darum beneide. Und die Stadt Krakau, daß sie so einen zu ihren Kindern zählen kann!
 
In diesem Sinne!
Ihr
Konrad Beikircher
 
 
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