Die Frau, die niemals aufgibt

Julia Wolff brilliert in Roddy Doyles Bühnen-Solo „Die Frau, die gegen Türen rannte“

von Frank Becker

Julia Wolff - Foto: Wuppertaler Bühnen
Die Frau, die niemals aufgibt
 
Julia Wolff brilliert in Roddy Doyles Bühnen-Solo
„Die Frau, die gegen Türen rannte“
 
Regie und Bühne: Frank de Buhr – Kostüm: Svenja Göttler
Paula Spencer: Julia Wolff
 
Vier Quadratmeter Flokati, darauf wie das übrige Mobiliar unwirklich surreal teils im freien Raum schwebend eine Musiktruhe aus dem 50ern, ein zweisitziges Sofa aus den 70ern, ein irgendwo aufgelesener Couchtisch, auf dem eine Flasche Schnaps steht. Das ist die eng bemessene, durch raffinierte Bühnentechnik zudem schwankende Welt von Paula Spencer, geb. O´Leary (Julia Wolff), Alkoholikerin, Mutter von vier Kindern, Witwe des von der Polizei erschossenen Verbrechers Carlo Spencer. Paula, recht gepflegt im akkuraten dezenten schwarzen Kleid, die Füße in giftgrünen Pantoffeln, tanzt versunken mit sich und einem grünen Sofakissen. Frank de Buhr, der inszeniert und für die Ausstattung zeichnet, ist für die Wuppertaler Bühnen ein Wurf gelungen, der im Theatersaal des Café ADA ein gutes Quartier gefunden hat, nachdem die Stadtpolitik die architektonische Perle Schauspielhaus, einst das Aushängeschild Wuppertals, gezielt verfallen läßt.
 
Als Paula schließlich mit scheinbarer Leichtigkeit aus ihrem Leben zu erzählen beginnt, nimmt sie die anfangs gelegentlich noch amüsierten, bald jedoch von der erbarmungslosen Chancenlosigkeit dieser Frau erschütterten Zuhörer mit in ein von Kindheit an unter den Vorzeichen körperlicher, seelischer und sexueller Gewalt verkorkstes Leben der irischen Unterschicht, eines wie es wieder und wieder, auch jetzt, in diesem Moment irgendeiner Frau widerfährt. Julia Wolff lullt als Paula zunächst mit deren scheinbar schönen, vordergründig witzigen, wenn auch derben Erinnerungen an erste Verliebtheit und erste Sexualität ein. Ja, der Sex, den sie erst gab um „jemand zu sein“, dann um Liebe zu bekommen, war ihr durchaus wichtig, aber er machte sie billig, sie machte sich billig. Und schnell wird deutlich, daß alle ihre Hoffnungen von außen zerschlagen wurden und die Liebe - nicht ihre - stets nur Illusion und Lüge war, schließlich zu Prügel und Suff, Suff und wieder Prügel wurde. Ihr erster Ausbruch erschreckt bis ins Mark, weil er so echt ist. Echt wie die Tränen, die ihr nach und nach über die Wangen rinnen.
Immer tiefer tauchen wir mit ihr in dieses fürchterliche Leben mit allen seinen schrecklichen Facetten ein, das dieser brutal zerstörten Frau 17 Jahre Ehe als ein einziges Martyrium in ständiger Angst vor einem sadistischen Ehemann war. Und immer wieder hören wir die üblichen, traurig bekannten sich selbst Schuld zuweisenden Lügen von ihren Männern geschlagener Frauen: „Ich bin die Treppe hinunter gefallen. Ich bin gegen die Tür gelaufen. Warum habe ich auch gesagt, er solle sich seinen Scheiß-Tee selber kochen“ - und die Stereotypen jedes Trinkers, der mit flatternden Händen den nächsten Schluck ersehnt: „Ich weiß, wann Schluß ist. Ich kann jederzeit aufhören. Wenn ich will.“
 
Wie Inseln der Seligen in einer verwüsteten Welt nehmen sich zwischendrin die sanften Sequenzen der eingespielten Songs von Don McLean („Starry starry night“) und den Carpenters (We’ve Only Just Begun“) aus. So hätte sie es sich gewünscht, romantisch mit einem schönen, edlen Mann wie Steve McQueen und nicht irgendwo hinter einer Hausecke oder auf einem Feld gefickt werden („Robert Redford hätte seine Picknick-Decke mitgebracht“) - da glänzen ihre Augen: „Mein Leben ist vielleicht beschissen, aber es hat einen tollen Soundtrack.“
Und sie hat vier Kinder (ein fünftes starb früh), auf die sie alle neue Hoffnung setzt, für die sie ihre Alkoholsucht überwinden möchte, wenn sie es auch nicht kann, nicht jetzt. Aber wenn sie will. Als sie sich endlich befreit, den Schläger, den sie trotz allem immer noch auf unerklärliche Weise liebt, vor die Tür gesetzt hat, muß sie ein knappes Jahr später dessen Beerdigung bezahlen. Aber er ist weg, wird sie nie wieder schlagen. Und ihre Träume leben noch. Etwas anderes hat sie nicht.
 
Julia Wolff überzeugt in jeder Minute und allen Facetten dieses großartigen Wechselbades der Gefühle, Erinnerungen und Wunschträume – eine geschlagene, zerbrochene, aber zähe, starke Frau. Eine beeindruckende Leistung, ein Kammerspiel von ungeheurer Intensität. Einer von Paulas Rettungsringen ist die stolze Illusion: „Es ging nur um mich, immer nur um mich!“ Daran hält sie sich aufrecht, diese Frau, die niemals aufgibt.
 
Weitere Informationen: www.wuppertaler-buehnen.de