Die grüne Frieda

von Hanns Dieter Hüsch

© Jürgen Pankarz
Die grüne Frieda
 
Die Frieda trinkt gerne Johannisbeersaft. Ich bin dem Wein mehr zugetan. Fährt die Frieda ins Grüne, fahre ich ins Blaue. Manchmal, wenn mich der Schelm reitet, fahre ich auch mit ins Grüne; aber das währet nicht ewiglich, denn die Frieda redet dann das Grüne vom Himmel herunter und ich muß dann immer das Blaue wieder zum Himmel raufreden.
Die linden Lüfte sind erwacht, sagt die Frieda, das geht ja noch, sage ich, aber wenn die Frieda dann singt und dabei Wurzeln schlägt, das schlägt den stärksten Holzfäller in die Flucht, geschweige denn ein ,sensibles Naturbürschlein‘ wie ich es bin. Die Frieda hat eine gute Stimme. Naturstimme. Kunststück, wenn man Johannisbeersaft trinkt.
 
Alle fünf Minuten sagt sie: Heute machen wir mal was Neues, wir fahren: ins Grüne! Dann nimm dir ein Taxi und fahr allein, sage ich. Ich fahre doch mit einem Taxi nicht in die Natur, sagt die Frieda, nein mein Lieber, wir gehen hübsch zu Fuß, atmen tief aus und singen bis wir tief im Wald sind. Und dann spielen wir ,Hänsel und Gretel‘, sage ich, oder ,Bäumchen verwechsle dich‘, und abends kommen wir todmüde nach Hause; aber wir haben mal die Natur gesehen, und morgen gehe ich zu meinem Nachbarn und sage, darf ich Ihnen mit einer Blattlaus dienen, wir haben dieselbe im tiefen dunklen Wald gefunden. Was doch die Natur so alles auf die Beine stellt. Tut sie auch, sagt die Frieda, Himmel und Erde sind dir ja vollkommen gleichgültig. Sind sie nicht, sage ich, ich nehme nur keine Blattlaus vor den Mund, Baum ist Baum und Berg ist Berg, was soll’s. Du hast eben keine Ahnung, sagt die Frieda, und weil du keine Ahnung hast, bist du gegen die Natur. So ist es, sage ich, der Gott, der Reben wachsen ließ, ist aber auch noch da, und ich brauch meinen Wein zum Beispiel nicht in der freien Natur zu trinken, ich trinke für mich ganz alleine. Aber, sagt die Frieda, wer sagt mir denn, daß dein Wein kein Kunstwein ist und deine ganze Natur nicht so rein und unverdorben wie meine ist. Meine Natur ist reiner als deine, ich kann hingucken wo ich will, ich sehe überall Natur, da kommt deine Natur nicht mit, du siehst doch grün, wenn du Natur siehst. Und du siehst alles nur grau in grau, sagt die Frieda. Wenn das Grau nicht war, könntest du ja das Grüne gar nicht sehen, sage ich. Und wenn das Grüne nicht wär,  könntest du das Graue nicht sehen, ätsch, sagt die Frieda. Na, bitte, sage ich, Natur ist, wo man hinguckt, ich sehe mir auch einen Baum an, aber nur wenn er allein steht, und auf einen Berg klettere ich um zu sehen, wie klein wir Menschen sind. Dir steckt wohl ein kleiner Philosoph im Nacken, sagt die Frieda. Du nimmst dir ja nicht mal die Zeit, die eine Blume richtig anzusehen, und wie großartig das alles in der Natur eingerichtet ist. War, sage ich, eingerichtet war, meine Liebe, heute ist doch alles ausgerichtet, Mutter Natur mach dich schön, seine Majestät der Mensch kommt, er will dir eine Liebeserklärung machen, schon faul, die Natur tut mir leid. Mir nicht, sagte die Frieda, und jetzt nimm schön dein Brotbeutelchen, der Tag ist noch lang und ich will was von der Natur haben!
 
Ich mach dir einen Vorschlag, du guckst nach deinen Blumen und ich nach meinen Blumen, das heißt meine Blume kann man nicht sehen, nur riechen. Also, sagt die Frieda, fahren wir mal wieder wie immer ins Blaue, nur weil der Herr der Schöpfung nicht grün, sondern leider schon grau hinter den Ohren ist. Am nächsten Tag guckte ich im Lexikon nach, was dort unter Ameisen stand.



Aus: Von Windeln verweht (1961)

© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung  in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Zeichnung stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung.