Gewogen und zu leicht befunden

"Der Tod in Venedig" im Düsseldorfer Schauspielhaus

von Frank Becker

Gewogen und zu leicht befunden


Der Tod in Venedig

Ein Drama nach Thomas Mann von Christine Besier und Christian Doll


Inszenierung: Christian Doll  -  Bühne: Jan A. Schröder   -  Kostüme: Claudia Held  -  Dramaturgie: Christoph Lepschy

Der Eine: Wolfgang Reinbacher  -  Der Andere: Daniel Graf

„Die Kunst ist das schönste, strengste, heiterste und frömmste Symbol alles unvernünftig menschlichen Strebens nach dem Guten, nach Wahrheit und nach Vollendung.“ (Thomas Mann)

Wanderlust und finstere Pädophilie

„Gustav Aschenbach oder von Aschenbach, wie seit seinem fünfzigsten Geburtstag amtlich sein Name lautete, ...“ sitzt auf gepackten Koffern. Weg aus München. Ein Anfall eklatanter Reiselust treibt ihn nach Süden und schließlich zu Schiff nach Venedig. So weit, so Thomas Mann. Wolfgang Reinbacher gibt bei der Premiere des von Christine Besier und Christian Doll für die Bühne erarbeiteten Stoffs am 17. Oktober 2007 in Düsseldorf einen respektablen Aschenbach, ist zugleich „der Eine“, einer von zwei Erzählern, die aus Textfragmenten des Originals von Thomas Mann das von anfänglicher luftiger Unbeschwertheit ins beklemmend Schwulstige absteigende Bild einer Reisesituation der „Gesellschaft“ des verwehenden Fin de siècle skizziert. Einer Reise, die Aschenbach ins finsterste Innere seiner am antiken griechischen Vorbild orientierten pädophilen Natur stürzen lässt.

Mal wieder die Claque

„Der Andere“, alter ego, Verführer Aschenbachs, sein Gewissen und seine Lust ist Daniel Graf – eine Figur mit der Ausstrahlung eines kellnernden Mark Medlock. Immer Aschenbach um einen Schritt voraus, macht er sich zum Popanz von dessen Neigung, zu seinem häßlichen Zerrspiegel. Christian Doll hat die Bühnenfassung von Manns „Der Tod in Venedig“ nicht nur erarbeitet, sondern jetzt in Düsseldorf auch inszeniert. Mit Erfolg, will man sich von den Bravi und den johlenden Jubelrufen am Schluß täuschen lassen. Doch das war wohl, wie so oft, nur die lärmende Claque. Doll macht, das mag dem einen oder anderen gefallen, die dramatische Erzählung Thomas Manns zur Klamotte. Der dabei äußerst kritisch auf die gesellschaftlich unter der Decke gehaltene homophile Pädophilie gerichtete Blick, setzt zwar an der richtigen Stelle an, Doll geht den Weg jedoch nicht zu Ende und läßt den gefährlichen Kriminellen, als den Aschenbach sich ja selber erkennt, in tragischer Lächerlichkeit enden.

Kitsch

Längst ist die durchscheinende Ästhetik, die Thomas Mann seinem Gustav Aschenbach als Motiv mitgibt, von der Kriminologie und der Psychiatrie längst nicht mehr als Gratwanderung akzeptiert, hier greifen heute Strafparagraphen. Wer rein zufällig am Vorabend der Premiere den „Tatort“-Krimi „Die Kampagne“ gesehen hat, wird Parallelen entdeckt haben, die kalten Schauder durch die Venen jagen (um mit W.S. zu sprechen). Doll streift das Problem nur, deutet an, verkitscht es und zieht mit lächerlichen Schmink-Aktionen und klamottigem „Sexual Healing“-Gesinge die sensible Angelegenheit durch den Kakao. Wo er „den Anderen“ zu Glucks „Reigen seliger Geister“ bei Kandelaber-Schein peinliche Erotik lesen lässt, hätten Mahler und dräuende Wolken hingehört. Auch flirrende Disco-Kugel und Einsatz einer Musicbox als Stichwortgeber bleiben oberflächlich. Geschickt allerdings, wie Doll den Knaben Tadziu nicht auftreten lässt.
Zwar rettet Wolfgang Reinbacher den Stoff durch seine souveräne Erzähltechnik vor dem Schlimmsten, doch bleibt ein schaler Nachgeschmack. Meine, mene tekel upharsin! (Daniel 5, 25)


Weitere Informationen unter: www.duesseldorfer-schauspielhaus.de